Das Licht von Shambala
Schultern. Schweiß rann über ihre Schläfen, ihr Atem ging rasch und stoßweise wie beim Liebesakt - und auch Lemont fühlte plötzlich die sengende Hitze.
Immer schneller atmete sie, immer lauter wurden ihre Schreie, und mit einem Mal erfüllte ihn der Wunsch, sie ganz zu besitzen. Nicht nur ihr Wissen, nicht nur ihre Gabe, sondern auch ihren Körper. Es war, als begehrte das Leben gegen den Tod auf, der draußen regierte, und als mündete alles, was Lemont je getan, jede Anstrengung, die er je unternommen hatte, in diesen einen Augenblick.
»Genug!«, rief er aus, griff nach ihren Händen und riss sie vom Codicubus los. Die Schreie der Kreolin verstummten, ihr Blick schien ins Hier und Jetzt zurückzukehren, während sie staunend zu ihm emporblickte - und in diesem Moment erkannte er die roten Adern, die ihre weißen Augäpfel durchzogen.
Das Fieber!
Auffallend geäderte Augen waren eines der Erkennungszeichen, die Yellow Jack zu hinterlassen pflegte. War die Kreolin auch befallen? Hatte sich Lemont, ohne es zu ahnen, ins Haus des Todes begeben? Wenn ja, so war es ihm einerlei. Sein Verlangen war erwacht, und noch war weder sein Drang nach Wissen befriedigt noch die Begierde, die die Kreolin in ihm geweckt hatte.
Die junge Frau, deren Namen er noch nicht einmal kannte, saß vor ihm und starrte ihn an. »Schnee und Eis«, versuchte sie in Worte zu fassen, was sie gesehen hatte, »eine ferne Bedrohung auf den Gipfeln der Welt«, und immer wieder: »Das Eine Auge! Es folgt uns! Es kann uns sehen!«
Lemont triumphierte innerlich.
Es stimmte also.
Das Geheimnis, das ihm sein Vater auf dem Sterbebett anvertraut hatte, schien tatsächlich zu bestehen, ein kosmisches Rätsel, eingebettet in die Mysterien der Vergangenheit!
Die Euphorie des Augenblicks beflügelte sein Verlangen. Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Er ergriff die junge Frau und riss sie zu sich empor. Schon auf die Distanz hatte die Kreolin eine eigenartige Faszination auf ihn ausgeübt. Sie jedoch zu spüren, ihre grazilen Formen und weiblichen Rundungen, ihren Herzschlag zu fühlen und ihren bebenden Körper, den Duft von Schweiß und Magnolien zu riechen, raubte ihm fast den Verstand.
Sich seiner überlegenen Körperkraft bedienend, warf er sie rücklings auf den Tisch, und noch ehe sie richtig zu sich finden konnte, waren seine Hände bereits dabei, sich unter die bunten Rüschen ihres Kleides zu wühlen und das Ziel seiner Begierde zu suchen. Sie wehrte sich nicht dagegen, schien noch zu sehr unter dem Eindruck dessen zu stehen, was sie gesehen hatte. Lemont gedachte es in seinen Besitz zu nehmen, zusammen mit ihrem grazilen Körper.
Es war sein beherrschender Wunsch.
Das Ziel, das er verfolgte.
Fieberhaft ...
Weder der Gedanke an ihre Hautfarbe noch an die Gefahr der Ansteckung vermochten ihn abzuschrecken. Oder war es in Wahrheit bereits zu spät? Hatte das Fieber, dem täglich Hunderte zum Opfer fielen, auch von ihm Besitz ergriffen? War das, was er erlebte, nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein Fiebertraum? War er in Wahrheit gar nicht hier, sondern lag in seinem Bett, und die Ärzte hatten schon alle Hoffnung aufgegeben?
Nein!
Noch lebte er, und er hatte sich selten so überlegen und mächtig gefühlt. Auch die Kreolin schien es zu spüren, denn sie leistete ihm keinen Widerstand. Schweigend ließ sie alles über sich ergehen, während ihre Augen durch ihn hindurch und in weite Ferne blickten. Und in dem Moment, als ihre Körper eins wurden, ein Fanal des Lebens in der Dämmerung des Todes, wiederholte sie mit heiserer Stimme ihre Worte:
Die Schatz und Gold begehren,
auf den fernen Gipfeln,
wo alles begann.
Die Diener, die Arimaspen,
im Zeichen des Einen Auges.
1. B UCH
K ONSTANTINOPEL
1.
32 J AHRE SPÄTER
Schatten ...
Verschwommene Gestalten, die ihr nach dem Leben trachteten; Nachtmahre, die sich aus der Vergangenheit erhoben, um ihren Schlaf zu verfinstern; dunkle Stimmen, die zu ihr sprachen, die sie jedoch nicht verstand. Und über allem die finstere Vermutung, dass all diese Stimmen und Gestalten, diese verschwommenen Bilder einen tieferen Sinn ergaben, dass sie auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sein mussten. Es war, als würde man ein Bühnenstück durch den geschlossenen Vorhang betrachten. Man konnte Geräusche hören und schemenhaft die Silhouetten der Darsteller durch den Samt erkennen - der Inhalt des Stücks jedoch blieb verborgen.
Solange Sarah Kincaid zurückdenken konnte,
Weitere Kostenlose Bücher