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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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anderer vitaler Bedürfnisse bei.
    So kam es, dass sich Adolph Bargiel trotz seiner drangvollen Lebensumstände für ein Glückskind hielt. Irgendwie bekam er ja doch immer alles, was er gerade wollte, und irgendwann würde ein kleines Wunder geschehen, das ihn aus seiner Dachstube herausholte. Noch war er jung, und die Welt lachte ihm entgegen. Niemals hätte er mit Friedrich, der immer häufiger als aufstrebender Unternehmer gerühmt wurde, tauschen mögen. Blitzende schwarze Augen standen gegen einen hungrigen, suchenden Blick unter buschigen Brauen; eine einschmeichelnde Stimme, die seinen Schülerinnen eine Gänsehaut bescherte, gegen ein lautes, schneidendes Organ, das sich überall durchsetzte und von dem der Erste Geiger in Adolph Bargiels Orchester sagte, es brächte jeden Hund zum Jaulen.
    Jetzt brauchst du keinen Wolfgang Amadeus mehr ... Friedrich Wieck antwortete nicht, doch die Bemerkung erinnerte ihn an seine Träume, deren Erfüllung er so zielstrebig vorbereitet hatte. Ein Schritt nach dem anderen. Eine gesicherte Existenz, einflussreiche Bekannte, Ansehen in der Gesellschaft. Doch es sollte noch weitergehen. Seine Träume von einer Karriere als Impresario waren noch lange nicht ausgeträumt.
    Alle Welt sprach von den Wunderkindern der Musik, den kleinen Mädchen, die der Militärmusiker Logier in seinen Pianistinnenplantagen heranzüchtete. Aus dem wenig wagemutigen Deutschland war er nach England ausgewandert und formte dort die kindlichen Talente, die man ihm anvertraute, jene winzigen Klaviermaschinen, die nach der Ausbildung bei ihm jeden erwachsenen Pianisten erbarmungslos an die Wand spielten. Jeder Musikfreund kannte die Namen Belleville und Moke. Die Belleville und die Moke, wie bei den angesehensten Künstlerinnen der Bühne.
    Zu Beginn waren sie noch so klein, dass sie mit ihren seidenbeschuhten Füßchen das Pedal nicht erreichen konnten. Wie zierliche Elfen sahen sie aus, wenn sie die Bühne betraten, sich mit einem artigen Knicks für den Begrüßungsapplaus bedankten und dann auf den Hocker kletterten oder gar gehoben wurden. Danach schienen sie in sich selbst zu versinken. Sie streckten die Arme aus, wie um zu prüfen, ob deren Länge überhaupt ausreichte, ein Klavier zu bedienen. Doch dann – wenn im Saal erwartungsvolle Stille eingekehrt war, so lange, dass es fast schon weh tat – donnerten sie plötzlich ihre Läufe und Triller in die Tasten, dass der Saal bebte. Das Publikum zuckte zusammen und vergaß fast zu atmen. Ein Bravourstück folgte dem anderen. Danach aber – wenn eine Steigerung schon nicht mehr möglich schien – fingen die kleinen Elfen an zu improvisieren, als hätte sich die Musik ihrer winzigen Körper bemächtigt und sie mit dem Instrument verschmelzen lassen. Untrennbar. Die zarten Menschenwesen mit den Korkenzieherlocken, den riesigen Seidenschleifen im Haar und den unzähligen Spitzenunterröckchenwiegten sich zu den Melodien ihrer eigenen Fantasie. Sie waren selbst zu einem Instrument geworden, das niemals wieder aufhören würde zu erklingen. »Kleine Drehorgeln!«, nannte Adolph Bargiel sie verächtlich, verblüfft, neidvoll. »Drillpuppen!«
    Doch Friedrich Wieck war verzaubert. Bei seinen täglichen zwei-, dreistündigen Spaziergängen in der Umgebung von Leipzig stellte er sich vor, wie er ein solches Geschöpf nach seinen eigenen Vorstellungen formen würde. Eine zierliche Puppe Olympia, die alle anderen in den Schatten stellte. Nur wenige Jahre würden ihr und damit auch ihm selbst vergönnt sein, denn sobald die Kindheit zu Ende war, würde auch das Interesse des Publikums ermatten und sich neuen Sensationen zuwenden. Wer hatte sich noch für den Pianisten Wolferl Amadeus interessiert, als er erwachsen und zum Wolfgang geworden war? Auch Friedrich Wiecks kleine Amadea würde zur Frau werden und aufhören, in den Augen der Welt ein Wunder zu sein. Doch in den wenigen Jahren der Kindheit – welche Lust!
    Für Friedrich Wieck, der die eigene Jugend versäumt hatte, stellte die Kindheit einen Mythos dar, eine Traumwelt, rein und ohne Makel. Dabei dachte er nicht an jene ausgezehrten kleinen Wesen, die kohleverschmiert in den Bergwerken schufteten oder jeden Morgen übernächtigt zu den Fabriken schlurften, die sie erst am Abend wieder verlassen durften. Nein, diese Kinder hatte Friedrich Wieck nicht vor Augen, wenn er vom Zauberreich der Kindheit schwärmte und von der Reinheit der jungen Seelen.

Marianne
1
    Eines Tages stand sie vor seiner Tür.

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