Halloween Frost: Das Halloween-Special aus der Welt der "Mythos Academy"
»Findest du nicht, dass wir etwas zu alt sind, um durch die Straßen zu ziehen und ›Süßes oder Saures‹ zu rufen?«
Daphne Cruz, meine beste Freundin, sah in den Spiegel und öffnete ihren Lipgloss. »Machst du Witze? Natürlich nicht. Halloween ist einer meiner liebsten Feiertage.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Warum?«
»Weil«, erklärte Daphne, während sie hellrosa Lipgloss auftrug, »wir uns verkleiden können, kostenlos Süßigkeiten bekommen und lange aufbleiben dürfen. Was soll man daran nicht mögen?«
Es war kurz nach sechs, und wir befanden uns in meinem Zimmer in der Mythos Academy. Es war unter der Woche, trotzdem war Halloween, und Daphne hatte beschlossen, mich durch die Straßen zu schleppen und Süßigkeiten einzusammeln, auch wenn ich genauso glücklich damit gewesen wäre, in meinem Zimmer zu bleiben und den Rest des Abends Comics zu lesen.
Daphne liebte Halloween offensichtlich wirklich, denn sie hatte bei ihrem Kostüm alles gegeben. Meine Freundin trug ein phantastisches pinkfarbenes Kleid im Stil der Zwanzigerjahre, das über und über mit Spitze und Hunderten von winzigen Kristallen besetzt war. Dazu gehörten passende hochhackige Schuhe. Mehrere Ketten echter Perlen hingen um ihren Hals und brachten das Kostüm noch mehr zum Glitzern. Ihr blondes Haar lag in flachen Wellen an ihrem Kopf, und das unauffällige Make-up betonte die Makellosigkeit ihrer gebräunten Haut.
Daphne ließ den Lipgloss in eine kleine, perlenbesetzte Tasche fallen, wobei prinzessinnenrosa Funken aus ihren Fingerspitzen schossen. Die Funken passten wunderbar zum Glitzern der Kristalle an ihrem Kleid, auch wenn sie ein paar Sekunden später schon wieder verloschen. Dieses magische Feuerwerk gehörte neben ihrer Superstärke zu den Dingen, die Daphne zu einer Walküre machten.
Als Daphne endlich mit ihrem Aussehen zufrieden war, wandte sie sich mir zu. »Willst du dich nicht umziehen? Wo ist dein Kostüm?«
»Das ist mein Kostüm.«
Ihr Blick huschte über meine Turnschuhe, die Jeans und das T-Shirt unter einem grauen Kapuzenpulli. »Das ist kein Kostüm. Das ist einfach, was du jeden Tag trägst – wirklich jeden Tag.«
Das stimmte, und neben Daphne in ihrem schimmernden Kleid wirkte ich ziemlich unscheinbar. Ich hatte nicht mal etwas mit meinen Haaren angestellt. Zwar hatte ich das Gefühl, dass die lose herunterhängenden braunen Locken mein bleiches Gesicht und meine violetten Augen ein wenig mehr betonten als gewöhnlich. Aber das konnte auch Wunschdenken sein.
»Ehrlich, Gwen. Willst du dich nicht irgendwie kostümieren?«, fragte Daphne.
»Aber das ist ein Kostüm.« Ich breitete die Arme aus. »Im Moment bin ich einfach Gwen Frost, das seltsame Gypsymädchen, das Gegenstände berührt und Dinge sieht.«
Ich ging zu meinem Schreibtisch, hob eine schwarze Lederscheide mit einem Schwert darin hoch und wedelte mit der Waffe vor Daphne herum. »Aber jetzt bin ich Gwen Frost, Gypsymädchen, Nikes Champion und Kriegerin in Ausbildung. Siehst du den Unterschied?«
Daphne schnaubte. »Ich sehe nur, wie unmöglich du bist. Erzähl mir bitte noch mal, warum wir befreundet sind.«
»Weil ich dich mit deinem Traummann zusammengebracht habe.«
»O ja. Das.« Daphne klang sarkastisch, aber gleichzeitig lächelte sie.
»Ich stimme Gwen zu«, meldete sich eine Stimme mit englischem Akzent zu Wort. »Wenn ihr mich fragt, ist das alles totaler Blödsinn.«
Ich sah auf das Schwert hinunter, da es der Ursprung der Stimme war. Das Heft der Klinge war nicht einfach ein Heft … das Metall bildete ein halbes männliches Gesicht, komplett mit Ohr, Nase, Mund und einem einzelnen runden Augen, das nicht wirklich purpurn war, aber auch nicht grau. Nike, die griechische Göttin des Sieges, hatte mir die Waffe übergeben, als sie mich zu ihrem Champion erwählt hatte – was bedeutete, dass ich ihr in der Welt der Sterblichen half, gegen die Schnitter des Chaos zu kämpfen. Das Schwert hieß Vic, und ich hatte schnell erfahren, dass Vic klare Einstellungen und Meinungen hatte, die er gerne in seinem hochnäsigen englischen Akzent verkündete.
»Halloween. Wenn ihr mich fragt, ist das absolut lächerlich.« Vic rümpfte die Nase. »Sich seltsame Kostüme anziehen, Fremde nach Süßigkeiten fragen und zwischendurch versuchen, sich gegenseitig zu Tode zu erschrecken. Es gibt doch wirklich genug echte Monster auf der Welt. Ihr Krieger müsst euch nicht auch noch als Monster verkleiden.«
Daphne und ich wussten alles
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