Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition)

froh, dass sie eine Vorsichtsmaßnahme ergriffen und die Mitarbeiter angewiesen hat, nach der Speiseausgabe die Durchreiche jedes Mal wieder zu schließen.
    Kaum ist der Fremde verschwunden, kommt Boss Hong vorbei und fragt sie, ob sie Hilfe brauche. Ihr Vater hat ihn geschickt, weil er meint, die Tochter könnte in Schwierigkeiten stecken. Zum ersten Mal kommt der Mann ihr sympathisch vor. Aber da der Erpresser bereits gegangen ist, sagt sie nur, es sei alles in Ordnung, und bietet ihm etwas zu essen an. Als er mit ihr schäkert, schenkt sie ihm sogar ein Lächeln.
    Koch Lin hat gerade mal einen Tag lang gearbeitet, da lässt sein Arm sich erneut nicht bewegen. Diesmal schickt Mendy ihn allerdings nicht nach Hause, sondern begleitet ihn zu einer Orthopädie-Praxis in der Nähe des Restaurants, wo sich ihr Vater manchmal behandeln lässt. Nach Untersuchung und Röntgen sagt der Arzt: »Seltsam. Der Arm sieht eigentlich gesund und kräftig aus. Woher der Schmerz kommt, ist momentan nicht festzustellen.« Da er nichts Krankhaftes findet, empfiehlt er dem Patienten Gymnastik und verschreibt ihm ein paar Massagen.
    Von nun an scheint Koch Lin einer bestimmten Taktik zu folgen: Er arbeitet einen oder zwei Tage, dann meldet er sich für den nächsten Tag krank, kommt am übernächsten Tag wieder zur Arbeit, ist aber nach zwei Tagen erneut krank …
    Die Atmosphäre in der Strahlenden Perle hat sich verändert. Sobald feststeht, dass Koch Lin nicht zur Arbeit kommt, herrscht gute Stimmung unter den Mitarbeitern. Sie scherzen und lachen, als feierten sie noch immer das Frühlingsfest. Mendy erkennt schnell, dass Tubai die Fähigkeit besitzt, die Mitarbeiter in gute Stimmung zu versetzen und ihre Arbeit nahtlos zu koordinieren. Ihr Vertrauen in Tubai ist inzwischenso groß, dass sie ihm auch die Verantwortung für das ganze Restaurant überträgt, wenn sie mal auswärts etwas zu erledigen hat.
    Als Tubai eines Tages sagt, er müsse mal wieder nach Potsdam hinausfahren, um sich in der Unterkunft für Asylbewerber zu melden, wo er offiziell wohnt, gibt es Mendy einen heftigen Stich. Den ganzen Tag hat sie ein taubes Gefühl in den Gliedern, als hätte man ihr alle Nerven herausgezogen. Sie hat total verdrängt, dass er kein freier Mann ist, sondern strenge Regeln beachten und für die Behörden jederzeit erreichbar sein muss. Aber es bleibt ihr nichts anderes übrig, als Tubai gehen zu lassen. Da es immer noch kalt ist und Tubai nur eine leichte Jacke besitzt, schenkt sie ihm schnell noch einen dicken Wollschal.
    Die Tage ohne Tubai kommen Mendy wie Jahre vor. Mehr als einmal schreckt sie hoch, wenn sie sich dabei ertappt, am Fenster des Restaurants mit ausgestrecktem Hals nach Tubai Ausschau zu halten. Bin ich in ihn verliebt? Nein, ich bin doch in Oswald verliebt. Außerdem hat Tubai nur die Grundschule besucht. Mit so wenig Bildung ist er nicht der Richtige für mich. Dennoch spüre ich eine hartnäckige Sehnsucht nach ihm. Was ist mit mir los?, fragt sich Mendy. Habe ich nach einem schützenden Bruder gesucht?
    Nach zwei Tagen kommt Tubai zurück. Mendy entdeckt ihn zwischen den Passanten auf der Straße. Genauer gesagt, sie entdeckt zuerst den roten Schal, den sie ihm geschenkt hat. Noch nie hat sie einen Schal so freudig und graziös tanzen sehen. Sie rennt aus dem Restaurant und geht ihm eilig entgegen. Als sie ihn erreicht, umklammert sie seine Hand und führt ihn ins Restaurant. Erst als Kellner Bogo witzelt, die beiden ähnelten einem Liebespaar in einem Spionagefilm, errötet sie und lässt Tubais Hand los.

Kapitel 7
    Die Nacht, die Träume zerstört

    In Berlin leben viele Nationen. Mendy will ein Stück dieser Vielfalt in die Strahlende Perle zaubern und das fünfzehnjährige Bestehen des Restaurants im März mit einer Veranstaltung feiern. Aber was soll sie sich ins Haus holen? Ein Konzert? Ein chinesisches oder ein deutsches Kabarett? Ein feierliches Programm mit Löwentanz und Walzer?
    Bei einer Übungsstunde mit Oswald erzählt Mendy von ihrem Dilemma, und der junge Mann hat sofort eine Idee: Die erste Veranstaltung in der Strahlenden Perle soll ein Konzert seiner Band sein. Dann könne Mendy als Sängerin ihren ersten großen Auftritt im eigenen, vertrauten Restaurant absolvieren. Das passe doch wie das Ei in die Schale.
    Mendy lacht. Auf dem Neujahrsfest bei Yulin haben Oswald und Marcel gezeigt, dass sie eine tolle Stimmung erzeugen können. Es ist keine schlechte Idee, sie beim Jubiläum spielen zu