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Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition)

Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luo Lingyuan
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natürlich ihre Stiefmutter Yeye. Schließlich verwaltet sie mehrere Immobilien und gilt als ausgesprochen wohlhabend. Um sie günstig zu stimmen, hat Mendy ihr getrocknete Longans mitgebracht – eine edle Frucht, die wegen ihrer perfekten Kugelform als »Drachenauge« bekannt ist.
    Yeye sitzt in ihrem Sessel, die Knie mit einer Wolldecke zugedeckt, und strickt. Michael ist nicht zu sehen. Er spielt wahrscheinlich in seinem Zimmer am Computer. Tubai ist in der Küche beschäftigt. Er berichtet ihr leise, dass Tante Yeye heute einen besseren Appetit gezeigt habe. Beim Mittagessen habe er Geschichten aus seiner Heimat erzählt, da habe sie zweimal gelächelt. Sie gehe inzwischen auch wieder allein aus dem Haus und habe ein paar kleinere Einkäufe gemacht.
    Mendy überreicht Yeye die »Drachenaugen«. Der Anblick lässt die Augen der Stiefmutter kurz aufflackern. Nachdem sie zwei Stückchen in den Mund gesteckt hat, schiebt sie die Schale jedoch wieder von sich. Sie hat keinen Appetit.
    Mendy setzt sich und unterhält sich mit ihr. Yeye ist zwar immer noch wortkarg, aber ihr Denkvermögen scheint nicht beeinträchtigt zu sein. Als Mendy über das Geld zu sprechen versucht, wendet Yeye sich ab und greift wieder nach ihrem Strickzeug.
    »Ich werde euch das Geld zurückzahlen«, versichert die Stieftochter. »Wenn ich erst bei der Bank arbeite, werde ich jeden Monat eine Rate zurückzahlen.«
    Stiefmutter Yeye sagt nichts. Nur die Nadeln, die beim Stricken aneinanderstoßen, klappern ein wenig lauter.
    »Je schneller das Restaurant renoviert ist, desto früher können wir das Geschäft wiederaufnehmen. Was meinst du, Mutter Yeye?«
    Ein Seufzer entfährt Yeyes Brust. »Dein Vater hat mir streng verboten, dir Geld zu geben.«
    »Wieso?« Mendy friert.
    »Du hast mit dem Konzert Rowdys und Unruhestifter ins Restaurant gelockt. Einer von ihnen hätte wahrscheinlich den Brand gelegt, sagt er.«
    »Das ist unmöglich. Es waren keine Fremden mehr im Lokal, als ich gegangen bin, und die Polizei hat auch keine Spuren gefunden, die auf Brandstiftung hinweisen«, sagt Mendy mit zitternder Stimme.
    »Dein Vater hat gesagt: Wenn man dir Geld gibt, bringt das nur Unheil. Wenn du Geld willst, musst du mit deinem Vater reden«, sagt Stiefmutter Yeye und reckt sich im Sessel. Für sie ist das Thema erledigt. »Mir tut das Sitzen weh. Ich muss mich ein wenig hinlegen.«
    Schließlich geht Mendy zu Oswald. Der ist in keiner guten Stimmung. Er ärgert sich über einen Artikel, in dem seine letzte CD kritisiert wurde.
    Seit dem Brand ist Mendy so mit der Beseitigung der Schäden beschäftigt, dass sie sich um Oswald kaum kümmern konnte. Der junge Mann ist enttäuscht, hat aber bald genügend Beschäftigung, als das Semester wieder beginnt. Am Abend des Konzerts trennte sie nur noch dünnes Papier. Er hätte es an diesem Abend mühelos zerreißen und Mendy haben können – für immer. Aber ein unbekannter Chinese war dazwischengekommen und hatte sie im letzten Augenblick weggeholt. Inzwischen hat sich der Abstand zwischen ihnen wieder vergrößert, fast so, als wären sie Fremde, die zufällig auf dem Bahnsteig nebeneinanderstehen und auf denselben Zug warten. Sie sitzen am Tisch, jeder ein Getränk vor sich, und schweigen.
    Schließlich ergreift Mendy die Initiative. »Der Mann hat sich eingehend mit unserem Album beschäftigt und einen langen Artikel darüber geschrieben. Auch wenn er mehr nach Kritik klingt, ist es doch auch eine Anerkennung. Ich freue mich jedenfalls, dass unsere Namen in der Zeitung stehen.«
    »Hm«, macht Oswald, den Kopf in die Hände gestützt. »Vielleicht hast du recht.«
    Er wird ein wenig gesprächiger. Sie reden über dies und jenes und erzählen sich, was sie in letzter Zeit so gemacht haben. Irgendwann kommt Mendy auf das Geldproblem zu sprechen. Ob Oswalds Vater ihr nicht etwas leihen könnte, fragt sie vorsichtig. Der sei doch ein erfolgreicher Unternehmer.
    »Mein Vater kennt dich doch gar nicht. Was bringt dich auf die Idee, er könnte dir Geld leihen?«, kommt prompt die Antwort.
    »Ich meine, du leihst es dir von deinem Vater, und ich leihe es mir dann von dir.«
    »Das ist dasselbe«, sagt Oswald. »Mein Vater ist ein humorloser Mann. Sieht er keinen Profit, wird er mir kein Geld geben.«
    »Nun, du könntest dir ja etwas ausdenken. Zum Beispiel, du brauchst eine neue Gitarre. Eine besonders kostbare.«
    »Mit meiner Musik bin ich meinem Alten schon genug auf die Nerven gegangen«, sagt Oswald und

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