Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Die da hat Teufelsaugen.»
Rosamund kehrte ihr den Rücken. Sie beobachtete den Schlachter, und als der nicht hinsah, nahm sie ein Ochsenauge aus dem Eimer, schob es sich unter die Binde und richtete sie so, wie sie sie sonst immer trug.
Tonia hatte von all dem nichts bemerkt. Sie legte das Kuheuter in ihren Korb, nahm Rosamunde bei der Hand und zog sie weiter. Das Mädchen machte sich steif, stemmte die Fersen in den Boden. «Nicht dort entlang», rief sie.
Tonia blieb stehen. «Was hast du nur? Wir gehen immer dort entlang. Und wenn du brav bist, bekommst du bestimmt wieder einen süßen Kringel von der Bäckersfrau.»
«Nicht da entlang», beharrte das Mädchen und machte sich noch steifer.
Tonia schüttelte den Kopf, gab ihr einen Klaps auf den Rücken und zerrte sie hinter sich her.
«Da ist sie», rief auf einmal direkt vor ihr die Frau mit dem grünen Halstuch. «Das Mädchen mit den Teufelsaugen.»
Eine Haubenmacherin beugte sich über ihren Ladentisch, betrachtete Rosamund und ihre Kinderfrau. Zwei Mägde blieben stehen, stellten die Körbe zu Boden und verschränkten die Arme vor der Brust. Am Ende des Ganges schlenderte ein Marktaufseher, den Knüppel fest in der Hand.
«Da ist das Teufelsbalg. Ich habe die Augen gesehen. Ein Zauberkind. Seht zu, dass es nichts anpackt mit seinen Teufelspfoten, auf dass euch die Ware nicht verderbe.»
«Ach was», widersprach die Haubenmacherin. «Das ist die kleine Rosamund vom Weißbinder Hoffmann. Sie kommt oft hierher. Ein liebes Kind, bisschen maulfaul vielleicht und schüchtern. Die tut niemandem was, hat mehr Angst vor Euch.»
«Wollt Ihr sagen, ich lüge?», zeterte die Frau mit dem grünen Halstuch. «Gleich beweise ich es Euch.»
Sie trat zu Rosamund und riss ihr wieder die Binde ab und gleichzeitig den Mund auf zum Schrei. Auch die beiden Mägde kreischten los, die Haubenmacherin rang nach Luft und musste sich am Ladentisch halten. Das Ochsenauge aber fiel zu Boden, rollte ein paar Meter und blieb direkt vor den Füßen der Halstuchfrau liegen.
Alle starrten auf das Auge, dann zu dem Kind, welches den Kopf senkte und mit dem Fuß ein Kreuz in den Wegstaub malte.
Tonia fasste sich zuerst, zerstörte das Kreuz, richtete Rosamunde die Binde, bückte sich sodann nach dem Ochsenauge, warf es in den Weidenkorb. «Oh, das muss mir aus dem Korb gefallen sein. Mein Herr, der Weißbinder,liebt es, wenn Ochsenaugen in seiner Suppe schwimmen.»
Die Frau mit dem grünen Halstuch verzog angewidert den Mund, trat einige Schritte zurück und bekreuzigte sich. «Das magst du erzählen, wem du willst. Ich habe gesehen, wie das Auge aus dem Kopf des Mädchens gefallen ist.»
Sie wandte sich an die Haubenmacherin: «Ihr habt es doch auch gesehen, oder?», und dann an die beiden Mägde. Aber die schüttelten nur den Kopf und stiebten davon, dass die Röcke flogen, während die Haubenmacherin mit bleichem Gesicht auf den Boden stierte, als könnte sie das Kreuz noch immer dort sehen.
Tonia blieb ganz ruhig. Sie schaffte es sogar zu lächeln. «Ich weiß nicht, was Ihr gesehen habt, gute Frau. Die Sonne steht noch tief, vielleicht hat das Licht Euch getrogen. Das Auge ist mir aus dem Korb gerollt. Und meine Rosamund hier hat ein Gerstenkorn, deshalb trägt sie die Binde. Seit Geburt hat sie es. Es juckt und kribbelt. Ihr wisst ja, wie Kinder sind. Hätte sie die Binde nicht, weiß der Himmel, was sie sich ins Auge schmieren würde, damit das Jucken aufhört. Verwachsen wird es sich mit der Zeit. Wie so vieles, was Kinder an sich haben.»
Sie nickte der Frau mit dem grünen Halstuch zu, grüßte die Haubenmacherin, die noch immer Halt an ihrem Stand suchte, und ging mit Rosamund davon.
Sobald sie den Markt hinter sich gelassen hatten, begann Rosamund an Tonias Hand zu ziehen. «Du hast gesagt, ich soll mir die Hände anschauen. Willst du wissen, was ich gesehen habe? Der Schlachter hatte rote Hände.Also ist er gesund und gutmütig. Vielleicht sogar ein bisschen dumm. Die Fingernägel sahen aus wie Spatel. Das bedeutet, er arbeitet viel und ist manchmal rücksichtslos. Ist es so, Tonia? Habe ich richtig gelesen?»
«Ja, das hast du gut gemacht. Genau so stand es in seiner Hand.»
«Ja, aber die Frau mit dem grünen Halstuch, deren Hände waren ganz anders. Grau waren sie, als wären sie mit Asche überzogen. Das heißt, dass sie krank ist, nicht wahr? Als sie mit der Hand vor meinem guten Auge gewedelt hat, habe ich in ihrer Handfläche Punkte gesehen, daneben ein
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