Das Mädchen und die Herzogin
in gestrecktem Galopp und mit Tränen in den Augen.
Bei Einbruch der Dunkelheit erst kehrte sie heim, begleitet von Ludwig und dessen Diener, die sie gesucht und hinterdem Jagdhaus gefunden hatten, wo sie durchgefroren und schmutzig, mit aufgelöstem Haar und tränennassem Gesicht auf einem Baumstamm gekauert saß.
An diesem Tag schwor sie sich, dass keiner bei Hofe sie jemals wieder weinen sehen sollte. Sie würde ihre neue Rolle standesgemäß erfüllen. Mochte da kommen, was wollte.
Draußen tobte ein Vorbote der Frühjahrsstürme, die den Schnee zum Schmelzen bringen würden, und rüttelte an den Fensterläden der Spinnstube.
Marie unterdrückte einen Seufzer. Viel zu bald, Wochen früher als sonst würde die gemütliche Zeit im Lichtkarz des Müllers ein Ende haben. Hier, wo die Frauen und Mädchen des Dorfes im Winter zusammenkamen, um zu spinnen und zu weben, brannte immer ein Feuer, hier war es hell und warm, wenn überall sonst Dunkelheit herrschte. Hier wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch gesungen und getratscht. Selbst wenn abends der Rücken schmerzte und sich die Fingerkuppen pelzig anfühlten – es war kein Vergleich zu den Wintertagen in ihrer kalten, zugigen Hütte, in der es nach Ziege und Hühnermist stank.
Übermorgen, nach Maria Lichtmess, sollte es losgehen, hatte die Stubenälteste am Morgen verkündet. Dann würde sie mit den andern Kindern und Frauen des Dorfes bei diesem Mistwetter durch die Wälder ziehen und Brennholz zusammenklauben. Nicht für den eigenen Bedarf, sondern für die größte Hochzeit aller Zeiten, für das fürstliche Beilager des Herzogs mit einer Prinzessin aus Baiern.
Sie wickelte einen neuen Wollstrang um den Rocken, dann legte sie die Hände in den Schoß und streckte ihre Finger.
«He, Faulpelz.» Ihre Base Irmel stieß sie in die Seite. «Wenn das Mutter sieht.»
Marie sah hinüber zu ihrer Tante Berthe, die mit den anderen alten Weibern beim Kämmen an den Krempelbänken saß und lautstark herumstritt, welches Lied als nächstes gesungen werden sollte.
«Dämliche Hochzeit!», entfuhr es Marie. «Jeden Tag Holz sammeln, und dann auch noch bis ins Böblinger Forsthaus schleppen. Als ob die rund um die Residenz nicht genug Wälder hätten.»
«Haben sie nicht.» Jetzt legte auch Irmel ihre Spindel beiseite. «Nicht für die vielen tausend Gäste, die kommen sollen.»
«Was weißt du schon darüber.»
«Einiges.»
Ihre Base verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Ein böser Geist hatte Irmel bei der Geburt eine leichte Hasenscharte beschert, und Fremde hatten oft Mühe, sie zu verstehen. Dies und ihre plumpe, untersetzte Gestalt mit dem viel zu großen Busen würden es ihr wohl unmöglich machen, jemals aus der elterlichen Haushaltung wegzuheiraten. Dabei war sie schon fünfzehn, drei Jahre älter als Marie.
«Ich hab gehört, dass im Schloss alle Gemächer eigens für die hohen Gäste ausgemalt worden sind. Mit goldenen Blumen und Sinnbildern und so. Und dass zweiundzwanzig verschiedene Gänge zu jeder Mahlzeit gereicht werden. Vorweg Hühner in einer weißen Brühe, dann Grünkraut mit Bratwürsten, gebratene Spanferkel», Irmel leckte sich die Lippen, was bei ihrem missgestalteten Mund einigermaßen komisch aussah, «heißgesottene Forellen, gebackenes weißes Ochsenfleisch, eingelegte Flusskrebse – au!»
Im selben Augenblick erhielt auch Marie einen schmerzhaften Schlag gegen den Hinterkopf. Der Wollflausch am Rocken verschwand hinter einem Schleier winziger Sternchenim Raum herrschte Totenstille. Nicht mal das Surren der Spinnräder war mehr zu hören.
«Missratenes Lumpenpack! Was gehn euch die reichen Hansen in Stuttgart an? Haltet euer Maul und schaffet!» Tante Berthe stand dicht hinter ihnen, vor lauter Schwatzen hatten sie sie nicht kommen hören. Marie roch deutlich ihren sauren Atem.
«Keinen Mucks mehr bis Feierabend, sonst prügle ich euch die Flausen eigenhändig aus dem Hirn, verstanden?»
Mit geducktem Kopf machte Marie sich wieder an die Arbeit. Kaum wagte sie einen Seitenblick auf ihre Base zu werfen, der die Tränen über das feiste Gesicht rannen. Irmel tat ihr leid. Sie war zweifach gestraft: Einmal mit ihrem missratenem Äußeren, zum andern mit dieser groben Frau, die ihre Mutter war. Ansonsten war Irmel kein schlechter Mensch. Ein wenig einfältig vielleicht und ungeschickt, dafür umso gutmütiger: Nicht ein einziges Mal hatte sie Marie, die doch so viel schmächtiger und zarter war, in all den Jahren schlecht
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