Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
so stark und gleichzeitig so schwerelos war, dass Averil ihn ehrfurchtsvoll bestaunte.
Wilde Magie war darin. Er war zwar mit einem Ordenspsalm begonnen worden, aber andere, ältere Mächte hatten sich mit ihm vereinigt. Sie hatten gewartet, in der Erde schlafend, bis einer kam, der sie aufwecken konnte. Die Tür hatte sich geöffnet, bevor ihr bewusst war, was sie getan hatte. Ihre Anwesenheit hier mit Gereint an ihrer Seite und alles, was sie getan und gesagt und versprochen hatte, kam in diesem Augenblick zusammen, unter diesem Himmel, auf diesem Stück Erde, für das sie geboren wurde. Ihr toter Vater in der Halle sowie seine Seele, die sicher war vor jeglichen verschlingenden Zauberkräften, machten das Ganze umso stärker.
Sie langte hinter sich, streckte die Hand aus nach der vertrauten Wärme, die von Gereint ausging. Seine Finger verflochten sich mit ihren. Es würde ein herzzerreißender Schmerz sein, ihn gehen zu lassen, aber es musste sein.
Er würde noch ein paar Tage hierbleiben, bis ihr Vater in seine Grabstätte gelegt wurde und der König das Herzogtum verlassen hatte. Sie würde das Beste aus der Zeit machen, die ihnen noch blieb.
Die wilde Magie stimmte diesen Gedanken zu: Sie stieg auf und wirbelte in plötzlichen Windböen um sie herum, zerrte an ihren Röcken und zupfte ihr Haar aus der königlich hochgesteckten Frisur, sodass es ihren Rücken hinabfiel.
Die Stimmen des Chors erklangen glockenhell. Stimmen, die noch klarer waren, hoch und übermenschlich, erschallten darüber.
Die Luft war voller Flügel: Taubenflügel, Adlerflügel. Große schimmernde Kreaturen rissen die Wolken auseinander und fegten sie weg.
Ihre Chorsängerinnen starrten nach oben in reinem, furchtlosem Erstaunen. Ein oder zwei Stimmen gerieten ins Wanken, aber die anderen trugen sie, bis sie ihre Kraft wiedererlangt hatten. Ihre Ehrfurcht durchströmte sie und mischte sich mit Freude. Diesen Moment würden sie niemals vergessen, selbst wenn sie hundert Jahre alt wurden: dass sie mit Engeln gesungen hatten, während der Himmel auf Quitaine hinunter lächelte.
Sonnenstrahlen schienen Averil ins Gesicht und hüllten sie in strahlenden Glanz. Sie fühlte sich so klar wie Glas, so durchsichtig wie Wasser. Alle Arten von Magie waren in ihr vereinigt.
Sie war das Herz dieses Landes; seine Seele war in ihrer Obhut. Gereint war ihr Anker, ihre Kraft und ihr Schutz. Das würde immer so sein durch das Band, das sie teilten, selbst wenn er weit fort war, sicher vor dem König und seiner Hexerei, und lernte, der Ritter zu sein, der er werden sollte. Dieses Wissen tröstete sie über alle Maßen. Sie gehörte wahrhaftig hierher. Dieses Land war ihre Bestimmung. Dennoch war Gereint ihre andere Hälfte.
Sie wandte sich ihm zu, ohne sich darum zu kümmern, ob jemand sie beobachtete, und küsste die Hand, die ihre eigene umschloss. Vor ihnen lag ein langer Krieg, und vielleicht ein bitteres Ende. Aber sie würden kämpfen mit all der Kraft, die in ihnen war.
Das Licht erfüllte sie beide. Sie konnte weder Niederlage darin erkennen noch Zweifel oder Furcht oder andere dunkle Dinge. Die Rose würde wieder aufsteigen und sich gegen die Schlange erheben, wie sie es in alter Zeit getan hatte.
Und dann — wer weiß? Es war eine neue Welt, die sie vor sich sah, mit Wundern und Schrecken jenseits ihrer Vorstellungskraft. Sie machten ihr Angst, aber es war nicht ihre Art, vor ihnen davonzulaufen.
Entweder war sie mutig, oder sie war verrückt, es spielte keine Rolle. Quitaine war frei — für eine Weile zumindest —, und sie war es auch. Alles Übrige lag in den Händen des guten Gottes und der alten Mächte.
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Hier endet das erste Buch über den Krieg der Rose. Deis gratia.
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