Das Mal der Schlange
Bereitet alles vor“, wies Sisto zwei kräftige Jäger an, die am Rande der Gruppe standen, „Die anderen sollten jetzt gehen, damit unsere Brüder in Ruhe arbeiten können. Wir treffen uns bei Sonnenaufgang wieder hier.“
Die Nacht war vorbei, als sich die Zeitjäger ein zweites Mal an der Bucht einfanden, aber die Sonne wollte sich nicht zeigen.
Wind war aufgekommen und spuckte zornige Wellen an den Strand. Weiße Schaumkronen tanzten auf Wasser so grau wie Emmalines und Tristans Augen und wie der Himmel.
Das Dorf lag unsichtbar in der Ferne während aus dem Dickicht der Pinienbäume dunstige Schwaden aufstiegen.
Am Rande des Meeres hatte man über die rundgewaschenen Kiesel, die in der Nacht noch getränkt von Blut gewesen waren, einen riesigen Scheiterhaufen errichtet.
Ilaria und Victor lagen darauf. Zwischen ihnen war nur so viel Platz, dass ihre Hände sich hätten berühren können.
Beinahe wirkte es, als ob sie schliefen. Nur der dunkle Spalt zwischen ihren Köpfen und ihren Körpern verriet, dass sie tot waren. Ihre Gesichter waren von den Spuren des Kampfes gesäubert worden. Beide sahen friedlich aus.
Schweigend stand die Gruppe der Jäger unter den Bäumen. Es wurde nicht gebetet oder gesungen und niemand sprach ein Wort des Abschieds. Aber alle hingen sie den gleichen Gedanken nach. Wohin würden Victors und Ilarias Seelen nun gehen? Nach allem, was sie getan hatten, würde Gott ihnen vergeben? Genügte ihm das Opfer ihres eigenen Lebens als Wiedergutmachung?
Obwohl die Familie erschüttert war und den Tod der beiden gerecht fand, trauerte sie dennoch über den Verlust ihres Bruders und ihrer Schwester.
Alle hofften, dass die beiden nun Frieden finden würden.
Sisto hielt eine brennende Fackel in der Hand, deren Flamme wild im Wind tanzte. Gerade als er nach vorne treten wollte, sah er Tristans Blick. Mit einem kleinen Nicken gab er ihm die Fackel und Tristan überquerte an Sistos Stelle den Strand.
An den vier Ecken des aus Strandgut, Reisig und Ästen aufgeschichteten Scheiterhaufens machte er Halt.
Wegen des starken Windes dauerte es eine Weile, bis das trockene Holz Feuer fing, aber schließlich flackerten unruhige Flammen und hüllten alles in silbergrauen Rauch.
Nachdem er sich versichert hatte, dass das Holz zuverlässig brannte, blickte Tristan hinüber zu seinen Freunden.
Sistos Augen hielten ihn einen Wimpernschlag lang fest. In ihnen lag die Traurigkeit von zweitausend Jahren. Er würde es verstehen.
Als eine Träne über seine Wange lief, wischte Sisto sie nicht ab. Tristan durfte sehen, was er fühlte.
Emmaline, Nathaniel und Adam wirkten erschöpft.
Die tödliche Gefahr, die für so lange Zeit ihr Leben bestimmt hatte, war nun vorüber. Er freute sich für Emmaline und Nathaniel, dass sie nun endlich anfangen konnten, gemeinsam zu leben.
Über einhundert lange Jahre hatten sie darauf gewartet.
Was Adam anging – er war nicht mehr der zornige Mitläufer, sondern zu einem starken, gerechten Mann geworden, der es ebenso verdient hätte wie Nathaniel, Emmaline an seiner Seite zu haben.
Das würde jedoch nie geschehen.
Unerfüllte Liebe. Eine Last, mit der Adam leben musste. Aber auch das würde er bewältigen. Und vielleicht würde sein Herz irgendwann frei werden, für eine andere Frau.
Er hatte sie alle liebgewonnen, in den kurzen Monaten, die er mir ihnen verbringen durfte.
Aber nun war es an der Zeit, zu gehen und Platz zu machen, für die Zukunft.
Tristan würde kein Teil davon sein.
Zu schwer lasteten die Sünden seiner Vergangenheit auf ihm. Auch er hatte Unrecht getan, in seinem blinden Streben nach Rache.
Auge um Auge.
Wer danach lebte, musste auch danach sterben. Nur dann würde es wirklich zu Ende sein.
Der Wind drehte und ließ Rauchfetzen über den Strand tanzen.
Bevor die Flammen noch höher an dem aufgeschichteten Holz empor züngeln konnten, stieg Tristan selbst auf den Scheiterhaufen und legte sich zwischen Ilaria und Victor.
„ Tristan!“, es war Emmalines gellender Schrei, der die Stille zerriss. Sie wollte zu ihm laufen, ihn herunter ziehen, aber Nathaniel und Adam hielten sie fest.
„ Nein! Tristan! Tu das nicht!“
Er drehte den Kopf zur Seite, so dass er sie ansehen konnte.
Sie versuchte sich von Nathaniel und Adam loszureißen und rief seinen Namen, wieder und wieder.
Emmaline, seine Schwester. Als seine Augen die ihren gefunden hatte, lächelte er und sie wurde still. Sein Blick bat sie um Verzeihung, die sie ihm gewährte.
In
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