Gefuehlsecht
1
Melken am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen
»Hast du deinen zukünftigen Ehemann schon mal mit den Worten begrüßt: Darf ich dir einen blasen, Liebling?«
Hat Lena mich letztens gefragt. Das ist meine große Schwester. Sie nennt es übrigens liebevoll »Melken«. Melken am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Natürlich weiß ich, was meinen zukünftigen Ehemann glücklich macht. Diese Worte kurz nach dem Aufwachen in sein Ohr geraunt, zaubern sofort ein Lächeln in sein Gesicht. Jürgen geht entspannt und zufrieden zur Arbeit. Seine Welt ist in Ordnung.
Mein Name ist Barbara. Seit dem letzten Monat bin ich dreißig Jahre alt. Und ich habe ein Problem. Ein großes Problem. Heute hat Jürgen mir einen Heiratsantrag gemacht und ich habe Ja gesagt. Dabei habe ich es gar nicht so gemeint. Warum muss Jürgen auch immer so in meinen Haaren wühlen, wenn er tief in meinem Mund steckt? Ich habe ihn einfach nicht verstanden. Normalerweise murmelt er: »Oh Babs, das ist so gut!« oder »Babs, du bist die Beste!«. Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, dass er gerade dabei die Frage stellt: »Oh Bar bara, willst du meine Frau werden?«
Außerdem erwarte ich, dass mein Zukünftiger in diesem wichtigen Moment vor mir kniet, mich anschmachtet und mir dabei tief in die Augen sieht. Da ich aber heute Morgen diejenige auf Knien war und Jürgen mir schon aus rein praktischen Gründen nicht in die Augen schauen konnte, habe ich wohl aus Versehen so etwas wie ein »Hm, ja …« von mir gegeben, als Jürgen mir die alles entscheidende Frage gestellt hat.
Meine Antwort schien ihn wahnsinnig erregt zu haben, denn kurz darauf fing er wie wild an zu zucken, krallte sich in meinen Haaren fest und ich hatte die ganze Ladung Sperma im Mund. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich bald eine Glatze haben werde, wenn er so weitermacht, aber mit vollem Mund spricht man nicht. Und da Jürgen meine Hand festhielt und mich damit hinderte, unverzüglich ins Bad zum Waschbecken zu sprinten, schwieg ich notgedrungen. Daraufhin übernahm Jürgen das Wort.
»Barbara, du weißt gar nicht, wie glücklich du mich eben gemacht hast.«
»Doch, weiß ich«, wollte ich sagen, »Melken am Morgen vertreibt schließlich Kummer und Sorgen!«
Da mir aber aus bekannten Gründen das Sprechen unmöglich gemacht wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als ziemlich dümmlich zu grinsen und zustimmend zu lächeln. Jürgen hielt immer noch meine Hand fest. Ich hatte große Sehnsucht nach irgendeinem Auffangbehälter, da passierte es.
»Wann?«, wollte Jürgen fordernd wissen.
Ich hob fragend die Augenbrauen. Hatte ich irgendetwas Wichtiges verpasst? Moment, immerhin hatte er mich »Barbara« genannt und das tat Jürgen normalerweise nur, wenn ich etwas Schwerwiegendes verbrochen hatte. Hatte ich etwa die Milchtüte nicht zurück in den Kühlschrank gestellt?
»Na, wann die Hochzeit sein soll? Und wann sagen wir es unseren Familien? Mann, werden die Augen machen. Aber ich denke mal, die haben sowieso damit gerechnet. Also, lass uns direkt Nägel mit Köpfen machen. Wie wäre es am Nikolaustag? Das sind noch genau dreißig Tage bis dahin. Das ist zwar etwas knapp, müsste aber doch zu machen sein, oder?«
Ich habe es nicht mehr bis zum Waschbecken geschafft. Vor Schreck habe ich die ganze Ladung an Ort und Stelle verschluckt. Sekunden später hing ich über der Toilette. Jürgen kniete sich neben mich.
»Mensch, Babs, vielleicht bist du ja schwanger. Mann, das wäre natürlich der perfekte Zeitpunkt!«
Das alles ist jetzt ungefähr drei Stunden her und seitdem hat das Telefon nicht mehr stillgestanden. Zuerst aber habe ich zum Hörer gegriffen und Lena angerufen. Immerhin kam der dämliche Tipp mit dem Melken am Morgen von ihr. Sie hat vor Lachen Bauchschmerzen bekommen. Nachdem sie sich wieder eingekriegt hatte, war ihr einziger Kommentar gewesen: »Wow, musst du gut sein. Du musst mir unbedingt in allen Einzelheiten erklären, wie du das geschafft hast.«
Blöde Sumpfkuh!
Danach hat mein Telefon gar nicht mehr aufgehört zu klingeln. Innerhalb von Sekunden, wie sollte es auch anders sein, hatte ich Marie an der Strippe. Marie ist meine kleine Schwester und natürlich wurde sie auf der Stelle von Lena über meinen Erfolg informiert.
Über ihre liebevoll gesäuselte Begrüßung: »Na, liebe Schwester, wie hat dir der Heiratsantrag geschmeckt?«, konnte ich mich wirklich nicht amüsieren. Dabei freue ich mich eigentlich, wenn alle was zu kichern haben,
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