Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)
ägäischen Kultur durch die Philister, dass sie sich mit den Kanaanitern vermischten, deren Götter übernahmen und deren Sprache erlernten. Eine Gruppe von Frauen besitzt indessen eine besondere Bedeutung für die Geschichte des Mittelmeerraums: Sklavinnen, deren Schicksal äußerst unterschiedlich ausfallen konnte – von der außergewöhnlichen Macht, die sie in einem osmanischen Harem ausüben mochten, bis hin zur traurigen Ausbeutung und Erniedrigung derer, die für sexuelle Dienste benutzt wurden oder niedere Arbeiten in den Villen reicher Römer verrichten mussten. Während des Mittelalters holte man viele Sklaven und Sklavinnen aus dem Schwarzmeerraum, aber auch die Bewohner der Mittelmeerküsten kannten im Zeitalter der Korsaren (und in vielen anderen Zeiten) den Schrecken der Banden, die an der Küste Menschen raubten – Christen an den Küsten Italiens, Frankreichs und Spaniens, Muslime an denen Marokkos, Algeriens und Tunesiens. Als König Franz I. von Frankreich den Türken 1543 erlaubte, Marseille zu besuchen und Toulon zu besetzen, entführten sie die Nonnen von Antibes und viele andere Opfer. Dennoch ist der vergleichsweise männliche Charakter des befahrenen Mittelmeeres bedenkenswert – die Italiener scheinen recht zu haben, wenn sie
il mare
sagen, im Unterschied zum französischen
la mer
oder auch zum neutralen lateinischen
mare
. Und die wichtigsten griechischen, etruskischen und römischen Meeresgötter – Poseidon, Nethuns und Neptun – waren männlich.
Von all denen, die das Mittelmeer befuhren, liefern uns die Kaufleute die besten Aufschlüsse, und zwar aus mehreren Gründen. Der erste liegt einfach in der Tatsache, dass Händler – seit phönizische Kaufleute einst die Kunst der Alphabetschrift im ganzen Mittelmeerraum verbreiteten – eifrig darauf bedacht waren, ihre Transaktionen aufzuzeichnen, so dass wir recht viel über sie wissen, ob nun im römischen Puteoli bei Neapel, im mittelalterlichen Genua und Venedig oder im neuzeitlichen Smyrna und Livorno. Doch als Pionier ist der Kaufmann fast schon definitionsgemäß ein Außenseiter, jemand, der kulturelle und physikalische Grenzen überschreitet, neuen Göttern begegnet, andere Sprachen hört und sich der Kritik der Bewohner jener Orte ausgesetzt sieht, in denen er nach Gütern sucht, die es in seiner Heimat nicht gibt. Dieses ambivalente Bild des Händlers als eines erwünschten Außenseiters findet sich schon in unseren ältesten Quellen. Wie wir gesehen haben, mochte Homer die Kaufleute nicht, er verachtete die bloßen Händler Phöniziens und behauptete, sie seien betrügerisch und unheroisch, obwohl sie doch paradoxerweise im Listenreichtum des Odysseus brillierten. Das etwas heuchlerische Gefühl, mit dem Handel mache man sich die Hände schmutzig, war auch bei Homers Lesern unter den römischen Patriziern stark verbreitet. Doch es waren Phönizier, die sich bis nach Südspanien wagten und ganz in der Nähe, aber doch abgesondert von der einheimischen Bevölkerung im westlichen Mittelmeer Kolonien gründeten – in der Regel auf vorgelagerten Inseln, die sich gut verteidigen ließen, wusste man doch nie, wie lange die Beziehungen zu den Nachbarvölkern freundlich blieben. Als dann die phönizische Kolonie Karthago selbst zu einer politischen und ökonomischen Macht wurde, entwickelte sich diese boomende Stadt zum Zentrum eines neuen Verkehrsnetzes, zu einem kosmopolitischen Treffpunkt der levantinischen und der nordafrikanischen Kultur, einem Ort, an dem verschiedene Kulturen miteinander verschmolzen und eine neue Identität entstand, auch wenn die Elite der Stadt sich weiterhin als »Tyrener« bezeichnete. Auch die griechische Kultur fand in Karthago eine Heimstatt, als dessen Bewohner den phönizischen Gott Melqart mit Herakles identifizierten. Mit den Kaufleuten fuhren auch Götter und Göttinnen kreuz und quer über das ganze Mittelmeer. Außerdem wirkte die Anwesenheit von Phöniziern und Griechen, Menschen mit einer eigenen kulturellen Identität, an den Küsten Italiens wie ein Ferment, das die Dörfer des ländlich geprägten Etrurien in Städte verwandelte, deren wohlhabendere Einwohner einen unstillbaren Hunger nach Fremdem entwickelten: nach griechischen Vasen, phönizischen Silberschalen oder sardischen Bronzefiguren. Außer den Kaufleuten, die wegen der Metalle nach Italien kamen, finden wir dort bald auch Handwerker, die nach Westen wanderten, um sich im Land der
barbaroi
niederzulassen, weil sie wussten, dass
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