Das Mordgesindel (German Edition)
nicht, ob Paul einem Journalisten dieses Wort in den Mund gelegt hatte – er hatte es von mir – oder ob die Presse selbst darauf gekommen war. Eigentlich spielte es keine Rolle. Das Wichtigste war, dass nach und nach jeder Verantwortliche dingfest gemacht wurde. Zu Theos Angestellten zählten hundert Männer und Frauen, ich wäre fast umgefallen, als ich diese Zahl hörte. Wo hatte Theo so viele willige Menschen gefunden? Waren sie alle Sadisten oder brauchten sie bloß das Geld, das sich mit dieser Art des Geschäfts anscheinend leicht verdienen ließ? Mir war egal, wer sie waren und was ihr Antrieb gewesen war, sie würden im Gefängnis verrotten. Außer drei Personen: Eine Krankenschwester namens Emma und ein Make-up-Artist namens Tilo, die seit Jahren vermisst wurden. Sie konnten wieder nach Hause zurückkehren und erhielten professionelle Hilfe bei der Bewältigung des Erlebten. Auch der echte Theo Lindau wurde befreit und konnte endlich seine Freiheit genießen.
Aber nicht nur die Mitarbeiter wurden dingfest gemacht. Die Internetseite www.if-you-will-you-can-kill.com war international so verbreitet, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Vom normalen Menschen bis zum Hollywoodstar waren alle Gesellschaftsschichten vertreten, die sich die Shows Tag und Nacht ansahen. Allesamt wurden sie nach und nach aufgestöbert. Überall auf der Welt stürmten in den letzten vier Wochen Polizisten Wohnungen und Häuser, nahmen die Voyeure fest und diejenigen, die selbst getötet hatten. Auch unser Schmierfink Lukas versauerte mittlerweile in Untersuchungshaft und wartete auf seinen Prozess.
Die Polizisten, die eine schützende Hand über Theo und seine Brut gehalten hatten, wurden im Eilverfahren angeklagt und zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Tausende Angehörige erfuhren endlich, was mit ihren vermissten Töchtern, Söhnen, Müttern, Vätern geschehen war. Paul und Jürgen erzählten mir, dass viele der Verwandten, denen sie die schreckliche Nachricht überbrachten, sofort medizinisch und psychologisch betreut werden mussten. Wunderte mich das? Nein, ich war hautnah dabei gewesen und konnte die Reaktionen meiner Mitmenschen auf diese Horrormeldung gut nachvollziehen.
Ausnahmslos jeder, der Teil dieser verschworenen Mordgemeinschaft war, hatte es verdient zu verrecken. Jedenfalls sah ich das so und meine Kollegen bei der Mordkommission gaben mir recht. Jürgen und Paul hatten mehrmals erwähnt, dass sie gerne einen nach dem anderen über den Jordan schicken würden. Auf meine Nachfrage hin, ob sie das wirklich ernst meinten, bestätigten sie das einstimmig.
Was uns wieder ins Hier und Jetzt katapultierte. Sie waren willens und scharf darauf, eines dieser Schweine zu töten, und ich gab ihnen die Gelegenheit dazu. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich noch ein paar Minuten Zeit hatte. Ich schloss mein Headset am Computer an und holte mir eine Flasche Wasser. Meine Hände kribbelten vor lauter Aufregung, dass es endlich losging. Nun waren wir dran, live auf Sendung zu gehen, auch wenn ich der einzige Zuschauer war.
Wie durch Zauberhand öffnete sich ein Fenster auf meinem Bildschirm und die Kopfhörer knackten.
»Kannst du mich hören?«
»Ja, Paul, ich höre dich.« Trotz eines leichten Rauschens verstand ich ihn ohne Probleme, das Video baute sich ebenfalls langsam auf. Alex hatte ganze Arbeit geleistet.
Jürgen kam ins Bild und winkte. »Siehst du mich?«
»Alles bestens.« Ich trank einen Schluck Wasser und bemerkte, wie stark meine Hände zitterten, als ich die Flasche abstellte. Nicht aus Angst oder Anspannung, sondern aus Freude. Ich, Tomas Ratz, Kriminalhauptkommissar, freute mich darauf, gleich einen Menschen sterben zu sehen. Wenn mir jemand vor ein paar Wochen gesagt hätte, dass es mit mir so weit kommen würde, hätte ich ihn ausgelacht. Ich hatte nie begreifen können, wie man darauf stehen konnte, eine andere Person umzubringen. Einfach so. Schnipp schnapp, Kopf ab. Leider musste ich feststellen, dass ich die Mörder mittlerweile doch verstand, zwar auf einer anderen Ebene, im Prinzip war es aber dasselbe. Derjenige, der heute sterben würde, hatte es verdient, und das zu hundert Prozent. Ich redete mir ein, dass mich das von normalen Mördern unterschied.
Das rote Teufelchen besuchte mich nach langer Zeit. »Seien wir ehrlich, alter Kumpel, du tötest ihn doch gar nicht selbst, sondern lässt ihn töten.«
Es hatte recht. Ich ließ die Drecksarbeit für mich erledigen.
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