Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
bestehe. Einen Spritzer nur von einem solchen Duft auf seine Kleider, ein paar Tropfen nur an Hals und Wangen - und er wäre ein für allemal gefeit gegen eine Wiederholung des peinlichen Anfalls, der ihn soeben übermannt habe...
Was wir hier der Verständlichkeit halber in ordentlicher indirekter Rede wiedergeben, war in Wirklichkeit ein halbstündiger, von vielen Hustern und Keuchern und Atemnöten unterbrochener blubbernder Wortausbruch, den Grenouille mit Gezittre und Gefuchtle und Augenrollen untermalte. Der Marquis war schwer beeindruckt. Mehr noch als die Leidenssymptomatik überzeugte ihn die feine Argumentation seines Schützlings, die ganz im Sinne der letal fluidalen Theorie vorgebracht war. Natürlich das Veilchenparfum! Ein widerlich erdnahes, ja sogar unterirdisches Produkt! Wahrscheinlich war er selbst, der es seit Jahren benutzte, schon infiziert davon. Hatte keine Ahnung, dass er sich Tag für Tag durch diesen Duft dem Tode näherbrachte. Die Gicht, die Steifheit seines Nackens, die Schlaffheit seines Glieds, das Hämorrhoid, der Ohrendruck, der faule Zahn - all das kam zweifelsohne von dem Gestank der fluidaldurchseuchten Veilchenwurzel. Und dieser kleine dumme Mensch, das Häuflein Elend in der Zimmerecke dort, hatte ihn daraufgebracht. Er war gerührt. Am liebsten wäre er zu ihm gegangen, hätte ihn aufgehoben und an sein aufgeklärtes Herz gedrückt. Aber er fürchtete, noch immer nach Veilchen zu duften, und so schrie er abermals nach den Dienern und befahl, alles Veilchenparfum aus dem Hause zu entfernen, das ganze Palais zu lüften, seine Kleider im Vitalluftventilator zu entseuchen und Grenouille sofort in seiner Sänfte zum besten Parfumeur der Stadt zu bringen. Genau dies aber hatte Grenouille mit seinem Anfall bezweckt.
Das Duftwesen hatte alte Tradition in Montpellier, und obwohl es in jüngster Zeit im Vergleich zur Konkurrenzstadt Grasse etwas heruntergekommen war, lebten doch noch etliche gute Parfumeur-und Handschuhmachermeister in der Stadt. Der angesehenste unter ihnen, ein gewisser Runel, erklärte sich im Hinblick auf die Geschäftsbeziehungen mit dem Hause des Marquis de la Taillade-Espinasse, dessen Seifen-, Öl-und Duftstofflieferant er war, zu dem außergewöhnlichen Schritt bereit, sein Atelier für eine Stunde dem in der Sänfte herbeigeschafften sonderbaren Pariser Parfumeurgesellen abzutreten. Dieser ließ sich nichts erklären, wollte gar nicht wissen, wo er was zu finden habe, er kenne sich schon aus, sagte er, finde sich schon zurecht; und schloss sich in der Werkstatt ein und blieb dort eine gute Stunde, während Runel mit dem Haushofmeister des Marquis auf ein paar Gläser Wein in eine Schenke ging und dort erfahren musste, weswegen man sein Veilchenwasser nicht mehr riechen könne.
Runels Werkstatt und Laden waren bei weitem nicht so üppig ausgestattet wie seinerzeit Baldinis Duftstoffhandlung in Paris. Mit den paar Blütenölen, Wässern und Gewürzen hätte ein durchschnittlicher Parfumeur keine großen Sprünge machen können. Grenouille jedoch erkannte mit dem ersten schnuppernden Atemzug, dass die vorhandenen Stoffe für seine Zwecke durchaus hinreichten. Er wollte keinen großen Duft kreieren; er wollte kein Prestigewässerchen zusammenmischen wie damals für Baldini, so eines, das hervorstach aus dem Meer des Mittelmaßes und die Leute kirre machte. Nicht einmal ein einfaches Orangenblütendüftchen, wie dem Marquis versprochen, war sein eigentliches
Ziel. Die gängigen Essenzen von Neroli, Eukalyptus und Zypressenblatt sollten den eigentlichen Duft, den er sich herzustellen vorgenommen hatte, nur kaschieren: dies aber war der Duft des Menschlichen. Er wollte sich, und wenn es vorläufig auch nur ein schlechtes Surrogat war, den Geruch der Menschen aneignen, den er selber nicht besaß. Freilich den Geruch der Menschen gab es nicht, genau so wenig wie es das menschliche Antlitz gab. Jeder Mensch roch anders, niemand wusste das besser als Grenouille, der Tausende und Abertausende von Individualgerüchen kannte und Menschen schon von Geburt an witternd unterschied. Und doch - es gab ein parfumistisches Grundthema des Menschendufts, ein ziemlich simples übrigens: ein schweißig-fettes, käsigsäuerliches, ein im ganzen reichlich ekelhaftes Grundthema, das allen Menschen gleichermaßen anhaftete und über welchem erst in feinerer Vereinzelung die Wölkchen einer individuellen Aura schwebten.
Diese Aura aber, die höchst komplizierte, unverwechselbare
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