Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Süskind
Vom Netzwerk:
Gesundheitszustand nur wiederhergestellt werden durch die gründliche Austreibung des Fluidums vermittels eines von ihm, Taillade-Espinasse, ersonnenen Vitalluftventilations-Apparates. Einen solchen habe er im Speicher seines Stadtpalais in Montpellier stehen, und wenn Grenouille bereit wäre, sich als wissenschaftliches Demonstrationsobjekt zur Verfügung zu stellen, wolle er ihn nicht nur von seiner hoffnungslosen Erdgasverseuchung befreien, sondern ihm auch noch ein gutes Stück Geld zukommen lassen...
    Zwei Stunden später saßen sie im Wagen. Obwohl sich die Straßen in einem miserablen Zustand befanden, schafften sie die vierundsechzig Meilen nach Montpellier in knapp zwei Tagen, denn der Marquis ließ es sich trotz seines vorgeschrittenen Alters nicht nehmen, persönlich auf Kutscher und Pferde einzupeitschen und bei mehreren Deichsel-und Federbrüchen selbst mit Hand anzulegen; so begeistert war er von seiner Trouvaille, so begierig, sie raschestens einer gebildeten Öffentlichkeit zu präsentieren. Grenouille hingegen durfte die Kutsche kein einziges Mal verlassen. Er hatte in seinen Lumpen, von einer mit feuchter Erde und Lehm getränkten Decke vollständig umhüllt, dazusitzen. Zu essen bekam er während der Reise rohes Wurzelgemüse. Auf diese Weise hoffte der Marquis, die Erdfluidumverseuchung noch eine Weile im Idealzustand zu konservieren.
    In Montpellier angekommen, ließ er Grenouille sofort in den Keller seines Palais verbringen, verschickte Einladungen an sämtliche Mitglieder der medizinischen Fakultät, des Botanikervereins, der Landwirtschaftsschule, der chemo-physikalischen Vereinigung, der Freimaurerloge und der übrigen Gelehrtengesellschaften, deren die Stadt nicht weniger als ein Dutzend besaß. Und einige Tage später - genau eine Woche nachdem er die Bergeinsamkeit verlassen hatte - fand sich Grenouille auf einem Podest in der großen Aula der Universität von Montpellier einer vielhundertköpfigen Menge als die wissenschaftliche Sensation des Jahres präsentiert.
    In seinem Vortrag bezeichnete ihn Taillade-Espinasse als den lebenden Beweis für die Richtigkeit der letalen Erdfluidumtheorie. Während er ihm nach und nach die Lumpen vom Leibe riss, erklärte er den verheerenden Effekt, den das Verwesungsgas auf Grenouilles Körper ausgeübt habe: Da sehe man Pusteln und Narben, hervorgerufen durch Gasverätzung; dort auf der Brust ein riesiges glänzendrotes Gaskarzinom; allenthalben eine Zersetzung der Haut; und sogar eine deutliche fluidale Verkrüppelung des Skeletts, die als Klumpfuß und Buckel sichtbar hervortrete. Auch seien die inneren Organe Milz, Leber, Lunge, Galle und Verdauungstrakt schwer gasgeschädigt, wie die Analyse einer Stuhlprobe, die sich in einer Schüssel zu Füßen des Demonstranten für jedermann zugänglich befinde, zweifelsfrei erwiesen habe. Zusammenfassend könne daher gesagt werden, dass die Lähmung der Vitalkräfte aufgrund siebenjähriger Verseuchung durch «fluidum letale Taillade» schon so weit fortgeschritten sei, dass Demonstrant - dessen äußere Erscheinung im übrigen bereits signifikant maulwurfhafte Züge aufweise - mehr als ein dem Tode denn als ein dem Leben zugewandtes Wesen bezeichnet werden müsse. Dennoch mache Referent sich anheischig, den an und für sich Todgeweihten mittels einer Ventilationstherapie in Kombination mit Vitaldiät innerhalb von acht Tagen wieder soweit herzustellen, dass die Anzeichen für eine vollständige Heilung jedermann in die Augen springen werde, und fordere die Anwesenden auf, sich vom Erfolg dieser Prognose, der dann freilich als gültiger Beweis für die Richtigkeit der letalen Erdfluidumstheorie angesehen werden müsse, binnen Wochenfrist zu überzeugen.
    Der Vortrag war ein Riesenerfolg. Heftig applaudierte das gelehrte Publikum dem Referenten und defilierte dann am Podest vorbei, auf dem Grenouille stand. In seiner konservierten Verwahrlosung und mit seinen alten Narben und Verkrüppelungen sah er tatsächlich so beeindruckend fürchterlich aus, dass ihn jedermann für halb verwest und unrettbar verloren hielt, obwohl er selbst sich durchaus gesund und kräftig fühlte. Manche der Herren beklopften ihn fachmännisch, vermaßen ihn, schauten ihm in Mund und Auge. Einige richteten das Wort an ihn und erkundigten sich nach seinem Höhlenlöwen und nach seiner jetzigen Befindlichkeit. Er hielt sich jedoch streng an eine im voraus erteilte Anweisung des Marquis und antwortete auf solche Fragen nur mit einem

Weitere Kostenlose Bücher