Das Prometheus Projekt
sich zurück. „Aber deswegen hast du mich nicht nachts um zwei aus dem Bett geholt.“
Hakan löste die verschränkten Arme und starrte auf seine Hände. „Die anderen sind dann los, in die Disko. Sie haben mich ausgelacht, aber ich bin zum Fluss zurückgelaufen.“
Sehner nickte anerkennend. „Das war die richtige Entscheidung.“
Hakans ballte die Fäuste, um das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. „Ich stand oben auf der Treppe, die zum Fluss hinunterführt. Der Alte lag unten auf dem Uferweg, aber er war nicht alleine.“
Sehner beugte sich vor. „Wer war noch dort?“
Hakan ließ den Kopf hängen. Als er aufschaute, glitzerten Tränen in seinen Augen. „Ich hab’ schon viele Horrorfilme gesehen, aber das hier … war echt.“
„Der Reihe nach“, sagte Sehner.
„Der Typ stand im Dunkeln, ich konnte nur seinen Rücken sehen.“
„Groß, klein? Wie alt war er? Was hatte er an?“
„Groß, er war verdammt groß. Und er war nackt. Der hatte überhaupt nichts an! Im ersten Moment hab’ ich gedacht, da unten steht der Terminator. Sie wissen schon – der Roboter aus dem Film mit Schwarzenegger. Er bewegte sich auch so merkwürdig – so eckig – wie eine Maschine! Als er einen Schrittauf den Alten zuging, sah ich seinen Hinterkopf im Schein der Straßenlampe.“
Sehner blickte ihn fragend an. Hakans Augen waren angsterfüllt.
„Seine Haare waren abrasiert. Und da war die riesige Narbe hinter seinen Ohren, ganz frisch und rot!“ Hakan zitterte jetzt am ganzen Körper.
„Was tat er?“
„Erst dachte ich, er wollte dem Alten helfen, aber dann sah ich, dass der Penner eine Scheißangst hatte. Er versuchte zu sprechen, aber er brachte nur ein Wimmern heraus.“
Sehner blickte den Jungen abwartend an, er wollte ihn jetzt nicht unterbrechen. Eine genauere Beschreibung konnte er auch später noch aus ihm herausholen.
„,Seele’, sagte er immer wieder. ,Seele, Seele.’“
Hakan sprang auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen.
„Er hatte eine komische Stimme, tief und kehlig – als würde er mit Reißnägeln gurgeln. Mir war auf einmal verflucht unheimlich. Der Typ ging in die Knie - ,Seele, Seele’ – und dann hat er dem Alten die Hand auf die Brust gelegt.“
Hakan blieb stehen und starrte aus dem Fenster in die Nacht. „Dann, dann … hat … er sich über den … Alten gebeugt.“
Hakan legte die Hände an die Ohren. „Der Alte hat geschrieen, die ganze Zeit über, und ich wusste, der Typ bringt ihn um.“
Er drehte sich zu Sehner um. „Dann hab’ ich auch angefangenzu schreien, aber das hab’ ich erst gemerkt, als der Typ sich umdrehte, weil er mich gehört hatte.“
Sehner blickte den Jungen gespannt an.
„Er stand unter der Straßenlampe am Fuß der Treppe. Mann, hatte ich die Hosen voll! Ich konnte sein Gesicht sehen. Das, … das war kein Mensch. Ich hab’ noch nie solche Augen gesehen. Das waren die hellsten Augen, die Sie sich vorstellen können. Und seine Hände…“
„Was war mit seinen Händen?“
„Sie waren rot. Alles war rot!“, schrie Hakan. „Überall war Blut. Er hat ihm das verdammte Herz aus dem Leib gerissen! Er hielt es in den Händen! Es hat richtig gedampft, weil es noch ganz warm war! Ich bin hierher gerannt, so schnell ich konnte!“
Hakan ließ sich auf den Stuhl fallen und schluchzte krampfhaft. Sehner blickte auf. In der Tür stand Windhagen, er hatte Hakans letzte Worte gehört.
Edgar Sehner stand an der gleichen Stelle wie zwei Stunden zuvor Hakan und blickte auf die Uferpromenade hinab. Doch das Bild unterschied sich völlig von dem, das der Junge gesehen hatte. Die Dunkelheit der regnerischen Septembernacht hatte dem gleißenden Licht von Halogenscheinwerfern Platz gemacht. Der Bereich am Fuß der Treppe war weitläufig abgesperrt. Die Leute der Spurensicherung liefen in ihren weißen Schutzanzügen herum und drehten jede Zigarettenkippe um. Blaue Blinklichter fetzten durch die Nacht, die rotweiße Polizeiabsperrung hielt Schaulustige fern, die das Verbrechen selbst nachts gegen halb drei anlockte.
ImZentrum der Hektik lag unter einer dunklen Plane die Leiche des alten Stadtstreichers. Selbst von hier oben konnte Sehner die riesige Blutlache sehen. Hakan saß irgendwo hinter ihm in einem Krankenwagen, wo ihm ein Sanitäter eine Beruhigungsspritze verpasste. Sehner hatte ihn nicht überreden können, ihm den Platz selbst zu zeigen.
Der Kommissar starrte verdrießlich auf den Tatort zu seinen Füßen. Obwohl er mit
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