Das Prometheus Projekt
Leib und Seele Polizist war, hatte er sich dennoch keinen solchen Fall zum Abgang gewünscht. Und er ahnte bereits, dass ihn dieser bizarre Mord den Rest seiner Dienstzeit verfolgen würde.
Auf dem nassen Pflaster unten erhob sich eine schmale Gestalt und winkte ihn heran. Sehner setzte sich widerwillig in Bewegung und schritt die Stufen hinab.
„Morgen, Edgar“, begrüßte ihn der Gerichtsmediziner.
„Morgen, Walter. Du bist ein bisschen blass um die Nase.“
Engelmann schüttelte den Kopf „Das sieht man nicht alle Tage.“
Sehner nickte. Der Pathologe war nur ein Jahr jünger als er selbst und hatte genug Leichen in seinem Leben gesehen, um seinen Magen abzuhärten. Manchmal fragte Sehner sich, ob Engelmann überhaupt einen Magen besaß. Sein Freund und Kollege war so hager, dass er von den Kollegen ,das Gespenst’ genannt wurde.
„Was kannst du mir schon sagen?“, fragte Sehner.
„Das kann man nicht beschreiben“, antwortete Engelmann heiser. Er bückte sich, griff einen Zipfel der Plane und hielt sie hoch. Sehner überkam Brechreiz, Magensäure schoss in seiner Kehle hoch. Er drehte sich um und schluckte.
Engelmann ließ die Plane sinken und hielt ihm einen durchsichtigenPlastikbeutel unter die Nase. „Das ist die Tatwaffe.“
Sehner betrachtete das blutverschmierte Messer. „Ein Taschenmesser?“
Engelmann nickte. „Und vor zehn Jahren ist es sogar mal scharf gewesen.“
Sehner blickte auf die Plane zu seinen Füßen und wich einen Schritt zurück. Beinahe wäre er mitten in die Blutlache getreten. „Er hat ihm das Herz mit einem stumpfen Taschenmesser herausgeschnitten? Was ist das für eine Bestie?“
Engelmann klappte seinen Koffer zu. „Ehrlich gesagt, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Der Täter hat an dem armen Teufel herumgesäbelt, bis er das Brustbein durchtrennt hatte. Dann er hat die Rippen auseinander gebogen, um an das Herz heranzukommen. Genauso macht man es bei…“
„Erspar mir die Details!“, winkte Sehner ab.
„Herr Engelmann!“ Einer der Spurensicherungsleute kam bleich auf die beiden zu. „Wir haben es gefunden!“
In den Sträuchern entlang der Uferböschung flammte ein Blitzlicht auf. Sehner folgte dem Pathologen in einigem Abstand. Er hatte für heute Morgen genug Blut gesehen. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Engelmanns Gehilfen einen blutigen Klumpen in einer Plastikbox verstauten.
„Er schneidet ihm das Herz heraus und wirft es dann einfach weg?“, überlegte Sehner.
„Was soll er denn damit anfangen? Es mit nach Hause nehmen und in die Pfanne hauen?“, rief Engelmann trocken. Er kam zurück und streifte sich die Gummihandschuhe ab.
„Das muss ein Irrer sein“, sagte Sehner. Er sah zu, wie zweiBeamte die Leiche in einen Zinksarg hoben.
„So zu sterben hat wirklich niemand verdient.“
„Er könnte schon vorher tot gewesen sein“, sagte Engelmann.
„Bist du sicher?“
Engelmann wiegte den Kopf. „Ganz sicher bin ich nach der Obduktion. Komm mit, ich will dir noch was zeigen.“ Der Pathologe ging auf den Zinksarg zu. Sehner stöhnte, doch Engelmann winkte ihn beruhigend heran. „Schau dir sein Gesicht an“, sagte er.
Sehner beugte sich schaudernd vor. Die Wangen des Toten waren mit wässrigen roten Flecken übersät.
„Was hat er da im Gesicht?“ Sehner konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal gesehen zu haben.
„Hämatidrose.“
„Häma…?“
Engelmann nickte. „Ein äußerst seltenes Phänomen. Ich habe darüber gelesen, es aber noch nie selbst beobachten können. Bei extremen seelischen und körperlichen Belastungen kann es zu einer Ausdehnung der Kapillaren in der Haut kommen. Kleine Mengen Blut treten in das umgebende Gewebe und in die Schweißdrüsen aus. Dieser Mann hat Blut geschwitzt. Er ist vor Angst gestorben!“
3 Dejá vù
3
Dejá vù
Adrian taumelte zurück ins Halbdunkel der Praxis, als wäre er einem Geist begegnet. Der scharf abgegrenzte Lichtfleck zeichnete die Konturen der bewusstlosen Frau nach: Den Schwung ihrer Augenbrauen, die gerade, schmale Nase und die vollen Lippen. Die Ähnlichkeit war gespenstisch, ihr Gesicht entsprach in jedem Detail den Zügen seiner verstorbenen Frau.
Adrian schlug die Hände vor das Gesicht, er zitterte am ganzen Körper. „Ich verliere den Verstand!“, wiederholte er immer wieder. „Ich verliere den Verstand!“
Er stürzte aus der Praxis und stolperte ziellos die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Seine Fähigkeit, rational zu
Weitere Kostenlose Bücher