Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
dass Moghedien etwas mit dem Zustand der Kinder zu tun hatte … Aber die Frau behauptete, sie hätten sich schon so verhalten, als sie die beiden in Ghealdan zur Tarnung mitnahm. Sie seien Waisen, die sie von der Straße aufgelesen habe. Ein paar Gelbe Schwestern vertraten die Meinung, sie hätten einfach zu viel Schlimmes während der Unruhen in Samara erlebt. Das leuchtete Elayne ein, nach alledem, was sie selbst dort miterlebt hatte. Die Gelben Schwestern meinten auch, die Zeit und gute Pflege würden ihnen helfen, Elayne schloss sich dieser Hoffnung an. Sie hoffte, dass sie nicht derjenigen, die dafür verantwortlich war, gestattete, ihrer gerechten Strafe zu entgehen.
Sie wollte jetzt nicht über Moghedien nachdenken. Über ihre Mutter. Nein, an die wollte sie ganz bestimmt jetzt auch nicht erinnert werden. Min. Und Rand. Es musste doch einen Weg geben, mit dieser Situation fertig zu werden. Sie bemerkte Birgittes Nicken kaum und eilte schnell die Gasse hinunter und hinaus auf die Hauptstraße Salidars, über der die Hitze des wolkenlosen Mittagshimmels brütete.
Jahrelang war Salidar eine Geisterstadt gewesen, bis sich die vor Elaida und ihren Anhängerinnen fliehenden Aes Sedai hier gesammelt hatten, aber jetzt waren die Häuser zumeist mit frischem Stroh gedeckt, man entdeckte die Spuren frischer Ausbesserungen, der Putz war bei vielen erneuert, und vor allem die drei großen Steingebäude, die einst Schenken gewesen waren, wirkten jetzt wieder belebt. Eines, das größte, bezeichneten einige Leute bereits als die Kleine Burg, und dort traf sich auch der ›Saal‹, die Ratsversammlung. Natürlich waren nur absolut notwendige Arbeiten durchgeführt worden. In vielen Fensteröffnungen sah man immer noch gesprungene Glasscheiben und manchmal auch gar keine. Es gab wichtigere Dinge, als Mauern wieder aufzurichten oder Wände zu streichen. Die Lehmstraßen waren fast schon überfüllt. Natürlich nicht nur mit Aes Sedai. Aufgenommene in weißen Kleidern mit Farbsaum waren darunter. Novizinnen in reinweißen Kleidern beeilten sich, ihren Aufgaben nachzukommen; Behüter, die sich mit der tödlichen Grazie von Leoparden bewegten, gleich, ob sie nun mager oder kräftig gebaut waren, Dienerinnen, die mit den fliehenden Aes Sedai von der Burg hergekommen waren, und sogar vereinzelte Kinder waren zu sehen. Und Soldaten.
Der Saal bereitete sich darauf vor, seine Ansprüche Elaida gegenüber notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen, sobald sie erst eine ›echte‹ Amyrlin gewählt hatten. Das entfernte Dröhnen von Schmiedehämmern, das durch den Lärm der Menge hindurch von den Schmieden außerhalb des Orts herdrang, berichtete von Rössern, die dort beschlagen wurden, und von Rüstungen, die der Reparatur bedurften. Ein Mann mit kantigem Gesicht, vielen grauen Strähnen im dunklen Haar, mit einem braunen Mantel und einem zerbeulten Brustharnisch ritt langsam die Straße hinunter. Während er sich den Weg durch die Menge bahnte, musterte er aufmerksam die Gruppen marschierender Männer mit langen Piken auf den Schultern oder mit Bögen auf dem Rücken. Gareth Bryne war einverstanden gewesen, das Heer des Saals von Salidar zu rekrutieren und zu führen. Elayne hätte allerdings gern gewusst, wie und warum es dazu gekommen war. Es musste etwas mit Siuan und Leane zu tun haben, aber sie konnte sich nicht vorstellen, was, da er mit beiden Frauen, besonders aber mit Siuan, ziemlich grob umsprang. Irgendwie hatten die beiden einen Eid zu erfüllen, aber Elayne kam die ganze Geschichte recht undurchsichtig vor. Klar war nur, dass sich Siuan bitter beklagte, weil sie zusätzlich zu ihren übrigen Pflichten auch noch sein Zimmer sauber halten und seine Kleidung waschen und bügeln musste. Sie beklagte sich, doch sie tat es immerhin. Es musste wohl ein ziemlich starker Eid gewesen sein.
Brynes Blick glitt ohne merkliches Zögern über Elayne hinweg. Er hatte sich ihr gegenüber kühl, höflich und distanziert benommen, seit sie in Salidar angekommen war, und das, obwohl er sie ja von der Wiege an gekannt hatte. Bis vor weniger als einem Jahr noch war er Generalhauptmann der Königlichen Garde in Andor gewesen. Einst hatte Elayne geglaubt, ihre Mutter und er würden heiraten. Nein, sie wollte nicht an ihre Mutter denken! Min. Sie musste Min aufspüren und mit ihr sprechen.
Sie hatte kaum begonnen, sich den Weg durch die Menge auf der staubigen Straße zu suchen, als sie auch schon von zwei Aes Sedai entdeckt wurde. Sie hatte
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