Draussen
Kapitel 1 Two for one
Ente könnte ich nicht essen. Nie. Die haben so kluge Augen.
Ernste Augen, mit denen sie mir direkt in die Seele gucken können. Und dabei sehen sie auch noch richtig niedlich aus. Mit ihrem Bürzel und dem wackeligen Gang. Wobei ich auch schon eine furchteinflößende Ente kennengelernt habe. Damals auf diesem Campingplatz am See im Elsass. Der erste Urlaub ohne meine Eltern, Interrail mit meinem ersten richtigen Freund Alessandro, einem Halbitaliener. Er war schon 19, drei Jahre älter als ich, und der Urlaub eine Katastrophe. Alessandro machte allen Mädchen, die wir unterwegs trafen, schöne Augen und verließ mich noch auf dem Nachhauseweg wegen einer Fünfzehnjährigen, dem Klischee der sexhungrigen Skandinavierin voll entsprechenden Schwedin. Wir fuhren zwar im selben Zug, aber in getrennten Wagen nach Hause. Ich heulend und allein, Alessandro vergnügt mit seiner Kirstin. Alessandro hatte mir nicht nur meine kleine Körbchengröße, sondern auch mangelnden Wagemut vorgehalten – Letzteres unter anderem wegen der Begebenheit am See. Damals war eine Ente – oder war es ein Erpel? – mit einer Irokesenfrisur auf mich zugekommen und hatte mich beißen wollen. Davon war ich überzeugt gewesen. Die Kopfbefiederung hatte ihr angriffslustig zu Berge gestanden und der Ente den entschlossenen Ausdruck eines römischen Legionärs kurz vor der Eroberung Karthagos verliehen. So war sie unvermittelt und schnurstracks aus einem Entenschwarm auf mich zugeschossen und hatte gerade ihren rasierklingenscharfen Schnabel in meine fleischige Wade hauen wollen, als der Border-Collie der beigefarbenen Dauercamper aus Wiesbaden lauthals auf seinen Rang in der Nahrungskette hinge- und den gefiederten Seebewohner in die Schranken verwiesen hatte. Ich mag Hunde. Deshalb verstehe ich die Chinesen auch nicht. Hühnchen kann ich essen. Der Blick von Hühnern ist hinterlistig. Das liegt an ihren kleinen, faltigen Augen. Sie sind hübsche und farbenfrohe Tiere, sicher, aber selbst mit ihrem bunten Gefieder und dem geschäftigen Herumpicken auf staubigem Boden können sie über eine gewisse Verschlagenheit in ihrem Gesichtsausdruck nicht hinwegtäuschen.
Ich hatte mich also für gebackenes Huhn mit Bratnudeln entschieden, Georg aß Ente. Und sie schien ihm zu schmecken. »Na ja, das ist eben eine ganz alte, keltische Tradition. Früher haben die damit gejagt«, sagte er mit vollem Mund. Er schien mir anzusehen, dass ich ihm überhaupt nicht zugehört hatte. »Axtwerfen. Mit Äxten eben. Im Wald. Ich hab Fotos dabei.« Er kramte in seiner todhässlichen Spießeraktentasche. Wieso saß ich hier mit diesem Mann? Mit einem Mann, der mich nur deshalb hierher, ans andere Ende der Stadt, zum Essen eingeladen hatte, weil er einen »2 für 1«-Gutschein inklusive »fruchtiger Begrüßungscocktail« ausgerechnet für diesen »Thailänder« hatte. Es gab hier sogar Currywurst. Und die Kellner waren wahrscheinlich Türken.
»Guck mal. Die hier ist schon richtig alt. Die hab ich mir in Moskau auf dem Flohmarkt gekauft.« Ein hagerer Mann mit nackter Hühnerbrust stand mit verschränkten Armen neben einem Baum. Georg. Im Stamm steckte eine Axt. »Ja, aber die Bäume … Darf man das denn? Ich meine, man verletzt die doch, oder?«
Eigentlich war es mir scheißegal. Nicht die Bäume, nein, ich bin ein friedliebender, naturverbundener Mensch. Ich sorge mich um das Wohl der Natur. Ich bin, wie ich unlängst festgestellt habe, die Einzige in meinem Freundeskreis, die während des Shampoonierens unter der Dusche den Hahn zudreht. Also: den Einhandregler der Mischbatterie schließt.
Jedenfalls ging mir dieser unansehnliche Möchtegern-Indiana-Jones auf die Nerven. Ich wollte meine kostbare Lebenszeit nicht mit so jemandem vergeuden. Seinem Internet-Foto entsprach er ungefähr so wie der Inhalt einer Dose Corned Beef dem Serviervorschlag auf dem Etikett. Und er war auch nicht mehr der charmante, witzige, eloquente Typ, mit dem ich mir wochenlang hin- und hergemailt hatte.
»Na ja, du musst eben wissen, wie du wirfst. Nicht zu stark, aber eben auch nicht zu soft, so dass du nur die äußerste Rinde triffst und die Axt trotzdem steckenbleibt. Dazu muss man üben, üben, üben. Ich hatte das allerdings schnell raus. Ist eben irgendwie auch Talent.« Ich nickte. »Eins, auf das man richtig stolz sein kann«, sagte ich so ernsthaft, wie es mir in dem Moment möglich war. Was für eine Schwachbirne! Allein wie oft er »eben« sagte. Wie
Weitere Kostenlose Bücher