Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
glaubte an seine Interpretation der Lage. »Auf jeden Fall spielt nur das eine wirkliche Rolle, was die Welt sieht. Ich werde ihnen nicht nur einfach eine Auseinandersetzung zwischen den Kindern und der Burg zu sehen geben.« Nicht, bevor die Welt nicht endlich die Burg als das sah, was sie war: eine Schlangengrube voll von Schattenfreunden, die sich mit Kräften befasste, die nicht für den Gebrauch der Menschheit bestimmt waren, mit der Macht, die einst die Zerstörung der Welt hervorgerufen hatte. »Diese Auseinandersetzung ist eine zwischen der Welt und dem falschen Drachen al’Thor.«
»Wenn ich also nicht nach Altara soll, mein kommandierender Lordhauptmann, wie lauten dann meine Befehle?«
Niall ließ seinen Kopf mit einem Seufzen nach hinten sinken. Plötzlich fühlte er sich sehr müde. Er spürte alle seine Jahre und noch mehr. »Oh, Ihr kommt schon nach Altara, Carridin.«
Rand al’Thors Name und Aussehen waren ihm seit der Zeit kurz nach der angeblichen Invasion von jenseits des Meeres bei Falme bekannt, eines Winkelzugs der Aes Sedai, der die Kinder tausend Mann gekostet hatte und seitdem sich die Drachenverschworenen ausgebreitet und das Chaos nach Tarabon und Arad Doman gebracht hatten. Ihm war klar gewesen, was al’Thor darstellte, und er hatte geglaubt, er könne ihn dazu benützen, die Länder zu vereinigen. Einmal unter seiner eigenen Führung geeint, könnten sie al’Thor problemlos beseitigen und wären auf die Trolloc-Horden vorbereitet. Er hatte Abgesandte zu jedem Herrscher in jedem Land geschickt, um ihm diese Gefahr klarzumachen. Doch al’Thor schlug schneller zu, als er selbst jetzt glauben konnte. Er hatte einen wütenden Löwen lange genug die Straßen unsicher machen lassen wollen, bis er allen Angst eingejagt hatte, doch aus dem Löwen war ein Riese geworden, der wie der Blitz zuschlug, wo er konnte.
Aber noch war nicht alles verloren, daran musste er sich selbst immer wieder erinnern. Vor mehr als tausend Jahren hatte sich Guaire Amalasan zum Wiedergeborenen Drachen erklärt, ein falscher Drache, der die Macht benützen konnte. Amalasan hatte noch mehr Länder erobert als al’Thor bisher, und dann hatte ein junger König namens Artur Paendrag Tanreall den Kampf gegen ihn aufgenommen und damit seinen eigenen Aufstieg bis zum Herrscher eines Weltreiches eingeleitet. Niall betrachtete sich nicht als einen neuen Artur Falkenflügel, aber er war eben die Hoffnung der Welt. Er würde nicht aufgeben, solange er am Leben war.
Er hatte auch bereits damit begonnen, etwas gegen al’Thors wachsende Macht zu unternehmen. Außer den Gesandten an die Herrscher hatte er weitere Männer nach Tarabon und Arad Doman abgeordnet. Ein paar Männer, um die richtigen Ohren zu finden, in die sie flüstern konnten, dass alles Übel auf die Drachenverschworenen zurückzuführen sei, diese Narren und Schattenfreunde, die sich für al’Thor entschieden hatten. Und damit der Weißen Burg in die Hände spielten. Aus Tarabon drangen bereits reichlich Gerüchte über Aes Sedai, die an den Kämpfen beteiligt sein sollten, und diese Gerüchte sollten die Menschen darauf vorbereiten, die Wahrheit zu vernehmen. Jetzt war es an der Zeit, die nächste Phase seines neuen Planes einzuleiten, um den Leuten, die auf dem Zaun saßen, zu zeigen, auf welcher Seite sie herabsteigen sollten. Zeit. Er hatte so wenig Zeit. Und doch konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es gab einige, mittlerweile allerdings verstorben, die einst gesagt hatten: »Wenn Niall lächelt, geht er einem an die Kehle.«
»Altara und Murandy«, erklärte er Carridin, »werden in Kürze eine wahre Überschwemmung durch Drachenverschworene erleben.«
Der Raum erweckte den Anschein eines Wohnzimmers in einem Schloss – gewölbte Stuckdecke, fein gewebte Teppiche auf dem weiß gefliesten Fußboden, kunstvoll geschnitzte Wandtäfelung –, obwohl er sich nicht in einem solchen befand. Er befand sich sogar fern von jedem bekannten Ort, so, wie es die meisten Menschen jedenfalls sehen würden. Mesaanas rostbraunes Seidenkleid raschelte, als sie um den mit Lapislazuli eingelegten Tisch schritt und sich damit unterhielt, elfenbeinerne Dominosteine zu einem komplexen Turmbau zusammenzusetzen, bei dem jedes Stockwerk breiter war als das darunterliegende. Sie war stolz darauf, das ohne jeden Einsatz der Macht fertigzubringen, nur mithilfe ihres Wissens über Spannungen und Hebelwirkung. Sie hatte bereits das neunte Stockwerk geschafft.
In
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