Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
bekommt.« Ausnahmsweise sagte sie es diesmal leise genug, dass nicht der ganze Raum mithörte.
Sie hatte recht. Das war Morgase klar. Bis auf den Wutanfall natürlich. Basel blickte so schuldbewusst drein, dass er wohl selbst einer Enthauptung zugestimmt hätte. »Ihr habt nicht versagt, Meister Gill. Vielleicht bitte ich Euch eines Tages, für mich zu sterben, aber nur, wenn damit etwas Größeres erreicht werden kann. Niall wollte nur mit mir sprechen.« Basel blickte sofort erleichtert drein, doch Morgase spürte Linis Blick ganz deutlich in ihrem Rücken. Ziemlich bitter, die Medizin. »Bittet doch Tallanvor, zu mir zu kommen. Ich … ich möchte mich bei ihm für meine überhasteten Worte entschuldigen.«
»Die beste Methode, sich bei einem Mann zu entschuldigen«, sagte Breane, »ist die, ihn in einem abgelegenen Teil des Gartens flachzulegen.«
Nun riss Morgase der Geduldsfaden. Bevor ihr bewusst wurde, was sie tat, hatte sie bereits ihren Weinpokal nach der Frau geworfen, wobei der Wein auf den Teppich spritzte. »Raus!«, kreischte sie. »Raus mit Euch allen! Ihr könnt Tallanvor meine Entschuldigung ausrichten, Meister Gill.«
Breane wischte sich gelassen Wein vom Kleid und ließ sich dann Zeit, als sie zu Lamgwin ging und ihren Arm bei ihm einhakte. Basel hüpfte vor Ungeduld fast auf und ab, so eilig hatte er es, sie hinauszugeleiten.
Zu Morgases Überraschung ging auch Lini hinaus. Das war gar nicht Linis Art; viel wahrscheinlicher war bei ihr, dass sie dablieb und ihrem ehemaligen Schützling einen Vortrag hielt, als sei diese noch immer zehn Jahre alt. Morgase wusste selbst nicht, warum sie das für gewöhnlich ertrug. Trotzdem – beinahe wären ihr die Worte entschlüpft, um Lini zum Bleiben zu bewegen. Beinahe. Doch dann waren alle draußen und die Tür geschlossen. Nun musste sie über wichtigere Dinge nachdenken als Linis Gefühle und ob sie gekränkt sei.
Sie schritt auf dem Teppich hin und her und bemühte sich, nachzudenken. Ailron würde Handelserleichterungen und vielleicht auch Nialls ›Opfer‹ verlangen, wenn er ihr half. Sie würde ja durchaus einen speziellen Handelsvertrag mit ihm abschließen, aber andererseits fürchtete sie, Niall könne recht haben in Bezug auf die Anzahl von Soldaten, die Ailron ihr zur Verfügung stellen könne. Nialls Forderungen zu erfüllen wäre leichter, auf gewisse Weise jedenfalls. Möglich, dass er freien Zugang nach Andor verlangte, wie viele Weißmäntel er auch entsenden wollte. Und die Genehmigung, dass sie jeden Schattenfreund aus jedem Dachboden herauszerren durften, dass sie die Volksmenge gegen wehrlose Frauen aufhetzen durften, die sie der Zugehörigkeit zu den Aes Sedai beschuldigten, und wirkliche Aes Sedai zu töten. Niall würde vielleicht sogar ein Gesetz gegen den Gebrauch der Macht von ihr verlangen und ein Verbot für alle Frauen, sich zur Weißen Burg zu begeben.
Es wäre möglich, wenn auch schwierig und verlustreich, die Weißmäntel wieder hinauszuwerfen, wenn sie einmal da waren, aber war es überhaupt notwendig, sie hereinzulassen? Rand al’Thor war der Wiedergeborene Drache, da war sie sicher, gleich, was Niall behaupten mochte; fast sicher jedenfalls, aber Länder zu regieren gehörte nicht zu den Aufgaben, von denen sie in den Prophezeiungen des Drachen gelesen hatte. Wiedergeborener Drache oder falscher hin und her, er hatte kein Recht auf Andor. Aber wie sollte sie herausfinden, was nun stimmte?
Ein schüchternes Kratzen an der Tür ließ sie herumfahren. »Herein!«, sagte sie in scharfem Ton.
Die Tür öffnete sich langsam, und ein grinsender junger Mann in goldener und roter Livree stand davor mit einem Tablett, auf dem ein Krug mit gekühltem Wein stand. Das Silber lief von der Kälte bereits an. Sie hatte eigentlich fast erwartet, Tallanvor zu erblicken. Doch Lamgwin stand allein im Korridor Wache, soweit sie sehen konnte. Oder besser, er lehnte lässig an der Wand wie ein Rausschmeißer in einer Taverne. Sie gab dem jungen Mann einen Wink, das Tablett abzustellen.
Ärgerlich – denn eigentlich hätte Tallanvor wirklich kommen sollen, wirklich! – nahm sie ihr Herumgetigere wieder auf. Basel und Lamgwin konnten in den nahe gelegenen Dörfern möglicherweise Gerüchte aufschnappen, aber das waren dann eben wieder nur Gerüchte und noch dazu vielleicht von Niall ausgestreut. Das Gleiche galt auch für die Diener im Palast.
»Meine Königin? Darf ich sprechen, meine Königin?«
Morgase wandte sich erstaunt um.
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