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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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nach hinten kippte und vom Felsen rutschte. Eine einzige Sekunde lang verharrte er im freien Fall, dann verschwand er vor ihren Augen. Sie horchte, bis sie irgendwo tief unten den dumpfen Aufschlag seines Körpers auf dem harten Boden hörte.
    Diana setzte sich auf einen Findling und ließ mit einem scheppernden Geräusch die Pistole fallen. Sie fühlte sich plötzlich erschöpft. Alt und müde, dachte sie. Alt und müde und sterbend.
    Sie griff in die Tasche und zog ein Pillendöschen heraus. Sie starrte einen Moment darauf und fand es plötzlich seltsam, dass sie seit Stunden, seit es am Abend dunkel geworden war, nicht den leisesten Anflug von Schmerzen oder von der Krankheit gespürt hatte. Doch sie wusste, wie listig der Krebs war – keinen Deut weniger hinterhältig als der Mann, den sie gerade getötet hatte.
    Und so schüttete sie sich mit einer einzigen energischen Geste trotzig den gesamten Inhalt des Döschens in die Hand, schloss sie einen Moment zur Faust und schob sich alle Tabletten auf einmal tief in Mund, bevor sie den Kopf zurückwarf und fest schluckte.
    Erst jetzt dachte sie an ihre Kinder. Sie wusste, dass ihr einstiger Mann bei all den Lügen in einem Fall die Wahrheit gesagt hatte – sie waren am Leben und frei. Sowohl von ihm als auch von ihr und ihrer Krankheit. Sie glaubte, dass auch sie jetzt endlich ihre Freiheit hatte.
    Bei dem Gedanken wurde ihr warm. Sie lehnte sich an denFels zurück, fand ihn überraschend bequem wie das weichste Bett, mit den bequemsten Kissen. Sie atmete tief ein. Sie fand die Luft so kühl und erfrischend wie das Wasser der kältesten und klarsten Bäche aus ihrer Kindheit. Dann wandte Diana ihr Gesicht langsam der aufgehenden Sonne zu und wartete geduldig, bis ihr alter Gefährte Tod sie fand.

EPILOG
Die Psychologieklausur zur
Semesterhalbzeit
     
    Es dauerte fast zwei Wochen, bis ein Helikopter der Staatssicherheit, der über das weitflächige Naturschutzgebiet im Norden des Staates hinaus seine Rasterfahndung ausgedehnt hatte, Diana Claytons Leiche fand. Die Nachricht kam an dem Morgen, an dem sowohl Jeffrey als auch Susan aus dem Krankenhaus in New Washington entlassen werden sollten – zwei Tage nachdem der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika mit überwältigender Mehrheit dafür gestimmt hatte, den Einundfünfzigsten Bundesstaat in die Union aufzunehmen.
    Frustriert hatte Jeffrey, obwohl noch nicht wieder bei Kräften, mit den Chirurgen gestritten und verlangt, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden, um die Suchtrupps der Staatssicherheit zu begleiten, die vom Haus am Buena Vista Drive ausgeschwärmt waren, um unter die Ereignisse jener Nacht einen Schlussstrich zu ziehen – doch dies hatten ihm die Ärzte verweigert. Susan, die sich in ihrem Bett erholte, blieb gelassener, als würde sie auch so bis ins letzte Detail wissen, was in den Stunden nach der Flucht ihres Vaters aus dem Musikzimmer und nachdem sie und ihr Bruder vor Anspannung, Blutverlust und Schock das Bewusstsein verloren hatten, dort draußen geschehen war.
    Erstaunlicherweise war es dem Hubschrauberteam gelungen, Dianas Leiche vom Rand der Schlucht zu bergen, während die steile Landschaftsformation es daran hinderte, zu den sterblichen Überresten von Peter Curtin in den Canyon hinab vorzudringen. Gleichwohl hatte man ihn aus der Luft entdeckt, doch für die Bergung wäre ein Team von erfahrenen Bergsteigern nötig gewesen. Einen solchen Aufwand wollte der Direktor der Staatssicherheit, Mr. Manson, nicht bewilligen.
    Er hatte sich am Tag ihrer Entlassung bei ihnen im Krankenhaus blicken lassen. In strahlendster Laune wegen der Kongressabstimmung war er an ihr Bett geeilt, und das trotz eines Sitzungsmarathons zur Planung flächendeckender Freudenfeste im Bundesstaat am kommenden Wochenende – Feuerwerke, Löschzüge mit heulenden Sirenen, Blaskapellen, puschelschwingende Cheerleader, Pfadfinderparaden auf den Hauptstraßen sämtlicher neuer Städte, denkwürdige Ansprachen und schulterklopfende Gratulationen. Ein einziges rotweißblaues Straßenfest mit Hotdogs, Limonade und Root Beer wie in den guten alten Zeiten, ein Ereignis, das sich vor dem vierten Juli nicht zu verstecken brauchte, auch wenn ihnen ein kalter Wind um die Ohren pfiff.
    »Sie können natürlich leider nicht dabei sein«, erklärte er Bruder und Schwester fröhlich. »Bedauerlicherweise sind Ihre Visa abgelaufen.«
    Manson überreichte Jeffrey und Susan Schecks und fügte an Susan gewandt hinzu: »Natürlich

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