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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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Prolog
August 1833
    Es war diese unbehagliche Tageszeit, zu der die zerklüfteten Berge, die dunkel und massiv den Schlängelpfad des Passes zwischen den Felsen säumten, lange Schatten warfen.
    George Spencer blickte über seine Schulter auf die Karawane zurück, die sich langsam hinter ihm vorwärts bewegte. Die Kamele, deren Körbe mit Handelsgütern gefüllt waren, schleppten sich dahin, die Köpfe hoch oben auf ihren langen Hälsen schaukelnd, und sahen auf absurde Weise würdevoll aus, als wollten sie von der lächerlichen Tatsache Abstand nehmen, daß sie Lasttiere waren. Ihre Treiber schnalzten mit den Zungen und stießen ihre fremdartigen Rufe aus, welche die Kamele angeblich verstanden: Rufe, die zu diesem Zeitpunkt die Tiere antreiben sollten, da die Schatten länger wurden und ihr Weg durch den engen Hals des Khyber-Passes noch immer keinen Ausblick auf die beruhigende Vertrautheit Britisch-Indiens zeigte.
    Wenn Annabel es sich diesen Morgen nicht in den Kopf gesetzt hätte, das Lager zu verlassen – um einem Steinbock zu folgen, wie sie behauptete –, dann wären sie zwei Stunden früher aufgebrochen und bis zur Abenddämmerung weit in Britisches Territorium vorgedrungen. Statt dessen steckten sie nun, während der Tag zur Neige ging, in diesem grauen und bedrohlichen Hohlweg. Der Abendstern funkelte bereits, doch nicht Beruhigung, sondern Unruhe brachte er. Die Reiter, welche die Eskorte bildeten, ließen ihre Hände besorgt über die Schäfte ihrer Gewehre gleiten und rutschten in ihren Sätteln hin und her, während sie sich umblickten und mit den Augen dem schmalen gewundenen Pfad folgten, der sich in der Düsterkeit und zwischen den finster lauernden Bergspitzen verlor.
    »Du siehst besorgt aus, George«, sagte Rosalind Spencer, die an der Seite ihres Mannes ritt, mit gewohnter Sanftmut. »Es kann nicht mehr sehr weit sein.«
    George lächelte zu ihr hinab. Wie immer beruhigte ihn allein schon der Klang ihrer Stimme; der Blick aus den stillen braunen Augen umfing ihn wohltuend. »Es muß etwas mit Annabel geschehen«, gab er zurück, jedoch ohne rechte Überzeugung. Sie sprachen schon seit den letzten zehn Jahren davon, aber das Problem bestand darin, daß die Kleine sich weigerte, etwas mit sich geschehen zu lassen. Sie blieb unbeirrt auf ihren eigensinnigen Mädchenpfaden, und kein Einwand der Welt konnte sie von dem einmal gewählten Weg abbringen.
    Rosalind erwiderte sein Lächeln und war sich der Gedanken ihres Mannes wohl bewußt. Ihre Tochter war ihnen eine ununterbrochene Freude, die nur von dem Vergnügen überflügelt wurde, welches die beiden Eheleute aneinander fanden. Natürlich war es absolut richtig, wenn man Annabel als ungebärdig und eigensinnig bezeichnete – ein hoffnungslos verwöhntes Kind ohne Geschwister!
    »Sie wird sich wieder fügen, sobald wir Peshawar erreicht haben«, versicherte sie ihrem Mann tröstend. »Die gewohnte Routine der Unterrichtsstunden, des Reitens zusammen mit ihren Freunden wird sie bald wieder voll in Anspruch nehmen, und sie wird nicht mehr daran denken, Steinböcken zu folgen und Basare heimzusuchen.«
    Annabel Spencer zog ihr wohlgeformtes Näschen in Falten. Sie sprachen wieder über sie. Sie erkannte es immer an ihrer verschwörerischen Kopfhaltung. Vermutlich ging es um heute morgen. Papa war ziemlich verdrießlich, ja, geradezu böse geworden, und nur, weil sie die Karawane ein paar Stunden aufgehalten hatte! Wirklich, sie konnte den Gedanken fast nicht ertragen, in die steife Ordnung des großen weißen Hauses in Peshawar zurückzukehren mit seinen üppigen Gärten, Armeen von Dienern und seinen unumgänglichen gesellschaftlichen Verpflichtungen; wo das geistlose Geplapper kleiner Mädchen ertönte, die ihre Eltern als angemessene Gefährtinnen für ihre Tochter erachteten und deren Mütter müßig auf der Veranda saßen, während kleine, mißachtete Kinderdiener die heiße Luft mittels Punkahs (= Fächer) kraftvoll in Bewegung brachten.
    Sie blickte sich um und konnte in der afghanischen Landschaft nichts entdecken, was sie beunruhigte. Vielmehr erregte sie Annabel mit ihrer ungezähmten Großartigkeit. Sie hatte sich jeden einzelnen Moment der vergangenen sechs Monate daran ergötzt, während derer George Spencer sein Versprechen wahr gemacht und sie nach ihrem zwölften Geburtstag auf eine Reise über die Berge nach Afghanistan und Persien mitgenommen hatte. Teppiche, reiche Seide, Silber und gehämmertes Gold stellten seine Waren dar,

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