Wuestenmond
FEDERICA DE CESCO
WÜSTENMOND
Roman
2
Tamara, eigenwillige Dokumentarfilmerin aus Paris, bricht in die Sahara auf, um einen Film über vorislamische Ruinen und Felszeichnungen zu drehen. Bald schon entwickelt sich das Vorhaben zu einer ganz persönlichen Herausforderung, denn Tamaras Vater war ein Targui. Seit seinem Tod lebt ihre Mutter zurückgezogen in Brüssel, eingekapselt in ihre Erinnerungen und Träume, zu denen Tamara bislang keinen Zugang gefunden hat.
Für die Filmerin wird die Reise nicht nur zu einer dramatischen Konfrontation mit der legendären Vergangenheit ihres Volkes, sondern auch zu einer Begegnung mit der Liebe. Durch den
Freiheitskämpfer Elias erfährt sie vom hoffnungslosen Kampf der Tuareg um ihre Unabhängigkeit, von der Härte des heutigen Nomadendaseins, vom Elend des stolzen, unbeugsamen Wüstenvolkes. Eine einzigartige Kultur ist durch die Zerstörung ihres Lebensraumes zum Niedergang verurteilt.
Die Liebe zu Elias – der hin- und hergerissen ist zwischen seinem Wunsch nach Selbstverwirklichung, seinen politischen Ambitionen und der Treue zu seinem Volk – stellt sie vor eine Entscheidung, die ihr Schicksal verändern soll…
Autorin Federica de Cesco, geboren in Italien, wuchs in verschiedenen Ländern mehrsprachig auf und studierte in Belgien Kunstgeschichte und Psychologie. Heute lebt sie mit ihrem Mann, einem japanischen Fotografen, in der Schweiz. Sie hatte bereits über fünfzig höchst erfolgreiche Romane für Kinder und Jugendliche sowie mehrere Sachbücher geschrieben, als ihr mit dem Roman »Silbermuschel« ein fulminantes Debüt in der Belletristik für Erwachsene gelang. Federica de Cesco lebte selbst längere Zeit unter den Tuareg, was sie zum Schreiben von »Wüstenmond«
inspirierte und dem Roman eine so große Authentizität verleiht.
3
Der Marion von Schröder Verlag ist ein Unternehmen der Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG
ISBN 3-547-71.765-5
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franzis print & media GmbH, München Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck 4
Für Adam und Marianne Roth
und immer wieder für Kazuyuki
Wohin gehen wir denn? Immer nach Hause.
Novalis
Sie wollen uns gute Manieren lehren,
aber sie werden es nie fertigbringen,
denn wir sind Götter.
Giuseppe Tomaso di Lampedusa,
Der Leopard
5
Prolog
»E rzähl mir was, Elias«, sagte ich.
Der Mond war abnehmend und zeigte sich spät. Die ferne Ebene leuchtete weiß wie Salz, inselgleich hoben sich daraus Felsen, und der Ring der Berge hielt die Wüste in dunkler Umarmung. Die Steine waren noch warm, aber bald würde die Kälte aus den Tiefen der Erde dringen. In der Ferne atmete der Wind: ein auf- und abschwellendes Geräusch, wie das Rauschen unsichtbarer Meereswellen.
Und Elias erzählte:
»Im Adrar der Iforas lebte eine junge Frau. Sie war biegsam und schlank, einer Gazelle gleich. Ihre Brauen waren schwarz wie Rabenfedern, ihre Gewänder dufteten nach Rosenöl und Jasmin. Ihr Name war Tallit – die Mondsichel. Ihre Schönheit und Klugheit waren weit über die Berge des Adrars hinaus bekannt. Ihr Ruf lockte die jungen Männer von den Ebenen der Tassilis und den roten Festungen des Ahaggars herbei. Auf ihren Reitkamelen edelster Zucht nahmen sie lange, beschwerliche Reisen auf sich, trotzten den Sandstürmen und setzten ihr Leben aufs Spiel, um einen Blick aus Tallits schwarzen Augen zu erhaschen. Doch die launische junge Frau verschmähte alle Bewerber. Sie schenkte vielen Männern ihre Gunst, aber keiner vermochte ihre Liebe zu gewinnen.
Eines Nachts aber, als der Mond über die Dünen schwamm, verspürte Tallit großen Durst. Ihr Wasservorrat war erschöpft. Sie rief ihre alte Dienerin, doch diese lag in tiefem Schlaf. Tallit hatte ein gutes Herz und wollte die Alte nicht wecken. Ganz in der Nähe des Lagers gab es eine Quelle. Tallit nahm ihre Guerba und machte sich auf den Weg. Da sah sie am Fuß eines Steinhügels ein einsames Feuer brennen. Erstaunt ging Tallit auf das Feuer zu und erblickte einen blauverschleierten Mann, der die Flammen schürte. Seine Gestalt war vornehm, seine Kleider von kostbarem Stoff und erlesener Machart. Ein Schwert in einer purpurnen Lederscheide war um seine schlanken Lenden gegürtet. Er begrüßte Tallit mit großer Höflichkeit, doch ohne ein Wort zu sprechen, und bot ihr einen Platz an seinem Feuer an. Stumm bereitete er den Tee für
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