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0688 - Das Hohe Volk

0688 - Das Hohe Volk

Titel: 0688 - Das Hohe Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Manche Tage erweisen sich bereits beim Aufstehen als totaler Fehlschlag, dachte Chefinspektor Pierre Robin grimmig. Er hatte seinen Dienst zwar noch nicht angetreten, aber seine Laune war jetzt schon auf dem Tiefpunkt.
    Zuerst hatte er den Wecker überhört und deshalb nicht mehr die Zeit gehabt, seinen dringend benötigten Morgenkaffee zu trinken, dann war er auf dem Weg zum Polizeidezernat in nicht nur einen, sondern direkt drei Staus geraten und hatte zu allem Überfluss auch noch seinen Schlüssel zu Hause liegen lassen, sodass er sich der Peinlichkeit unterziehen musste, die Tür zu seinem Büro vom Hausmeister öffnen zu lassen - wo er ein leeres Kaffeepaket vorfand…
    »Eine Scheiße ist das«, murmelte Robin, während seine schlurfenden Schritte durch den langen, von Neonröhren erhellten Kellergang hallten.
    Hier unten, in den Gewölben, die der Pathologie Vorbehalten waren, begegnete man fast nie einem Menschen. Die Ärzte befanden sich hinter verschlossenen Türen, führten ihre Obduktionen durch oder diktierten Autopsieberichte, die ihre Sekretärinnen später in den Computer speicherten.
    Wenn man ihnen doch einmal auf dem Gang begegnete, so strahlten sie eine fast schon buddhistische Ruhe aus, so als sei die Hektik, die nur ein Stockwerk über ihnen tobte, nicht Teil ihres Universums.
    Wer mit Toten arbeitete, hatte Zeit.
    Das galt vor allem für die Pathologen von Lyon, denn trotz der Größe der Stadt passierte relativ wenig, das ihre Aufmerksamkeit erforderte.
    Und so waren die Polizisten die einzigen Menschen, die mit hektischen Schritten durch die Kellergänge eilten, umso schnell wie möglich aus der unheimlichen Ruhe zurück ins tägliche Chaos zu fliehen.
    Als Chefinspektor der Mordkommission hatte Robin sich längst an den Kontrast gewöhnt. Aber nicht sein Beruf führte ihn heute Morgen in den Keller, sondern das Geheimnis, das er vor einiger Zeit in der Pathologie entdeckt hatte: Hier unten gab es Kaffee!
    Wenn die Kollegen oben in ihren Büros voller Verzweiflung dazu übergingen, die mageren Reste aus verschiedenen Packungen zusammenzuschütten, ging Robin heimlich nach unten und versorgte sich aus den Vorräten der Pathologen.
    Die hatten ihre Kaffeekasse anscheinend besser organisiert, denn der Chefinspektor hörte in fast jedem Büro das Blubbern der Maschinen.
    Robin hatte mit den Ärzten ein stillschweigendes Abkommen getroffen. Er behielt sein Geheimnis für sich, sie ließen ihn im Gegenzug gewähren.
    Das funktionierte wunderbar, oder hatte bis zu diesem Morgen wunderbar funktioniert, denn als der Chefinspektor um die nächste Ecke bog, stand der Gang voller Menschen.
    Das fehlt mir noch, dachte Robin frustriert und ging auf die Gruppe zu, deren Aufmerksamkeit sich auf einen der Autopsieräume zu konzentrieren schien.
    Der Chefinspektor sah seine beiden Assistenten, François Brunot und Joel Wisslaire, Gérard von der Sitte, Denise vom Drogendezernat, Georges aus der Abteilung für schweren Betrug, einen Kollegen vom Diebstahl und ein paar uniformierte und nicht uniformierte Polizisten, denen er nur ab und zu auf dem Gang begegnete.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Robin, als er neben François trat. »Hat jemand einen illegal eingereisten Zuhälter mit gefälschten Kreditkarten und zwei Kilo Koks beim Fahrradklauen erschossen, oder was wollt ihr alle hier?«
    Sein Assistent grinste. »So ähnlich. Haben Sie von diesem Verkehrsunfall letzte Nacht gehört?«
    »Ja. Irgendein betrunkener Idiot ist auf die Autobahn gelaufen und hat eine Massenkarambolage verursacht. Die ganze Stadt ist verstopft, weil ein Abschnitt noch immer nicht geräumt ist.«
    Er zählte zwei und zwei zusammen und deutete mit dem Daumen auf die geschlossene Tür. »Ist da etwa die Leiche von diesem Idioten drin?«
    François nickte. »Es kursieren ganz merkwürdige Gerüchte, deshalb wollten wohl alle mal einen Blick auf den Toten werfen. Aber Renoir lässt niemanden rein.«
    Dr. Henri Renoir war der leitende Polizeiarzt der Station und wurde wegen seines wirren weißen Haars und der traumwandlerischen Sicherheit seiner Diagnosen auch der Prophet genannt. Unter normalen Umständen freute er sich über jeden Beamten, der sich nicht übergab, wenn er in den Autopsieraum trat. Dass Renoir jetzt so ein Geheimnis um eine Leiche machte, war ungewöhnlich.
    Robin schob sich ohne ein weiteres Wort an seinem Assistenten vorbei und klopfte gegen die schwere Metalltür.
    »Henri?«, rief er. »Robin hier. Lassen Sie mich

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