Das Reigate-Rätsel
jedoch am meisten auffiel, war die große Blässe in seinem Gesicht und seine extreme Nervosität. Sein Alter schätzte sie auf dreißig Jahre, eher ein wenig darüber als darunter.
>Können Sie mir sagen, wo ich mich hier befinde?< fragte er. >Ich habe mich verirrt und hatte mich schon entschlossen, im Moor zu übernachten, als ich zum Glück das Licht Ihrer Laterne sah.<
>Sie befinden sich in der Nähe der King's-Pyland-Reitställe<, antwortete sie.
>Oh, wirklich? Welch glücklicher Zufall!< rief er. >Soviel ich gehört habe, schläft dort immer ein Stallbursche ganz allein im Stall. Ist es vielleicht sein Abendessen, das Sie ihm hintragen?
Nun, ich bin sicher, daß Sie nicht zu stolz sind, sich den Preis für ein neues Kleid zu verdienen, nicht wahr?< Er holte ein zusammengefaltetes weißes Papier aus der Tasche. >Bitte, geben Sie das dem Burschen, und Sie sollen das hübscheste Kleid haben, das man mit Geld kaufen ka nn.< Aber sie bekam Angst und lief an ihm vorbei zu dem Stallfenster, durch das sie dem Burschen das Essen reichen sollte. Es war schon geöffnet, und Hunter saß an einem kleinen Tisch im Stall.
Gerade hatte sie begonnen, ihm zu erzählen, was geschehen war, als der Fremde auch schon wieder auftauchte. >Guten Abend<, sagte er und schaute zum Fenster hinein. >Ich möchte gerne ganz kurz mit Ihnen reden.< Das Mädchen schwor, sie habe ein Stückchen des weißen Papieres aus seiner geschlossenen Hand herauslugen sehen.
>Was haben Sie hier zu suchen?< fauchte der Stallbursche. >Es ist etwas, was Ihnen vielleicht ein schönes Stück Geld einbringen kann. Zwei Pferde aus diesem Stall werden für den Wes-sex-Pokal rennen, Silver Blaze und Bayard. Geben Sie mir einen Tip, und Sie werden kein Verlierer sein. Stimmt es, daß der Stall diesmal auf Bayard gesetzt hat?<
>Ah, du bist einer von den verdammten Schnüfflern, schrie der Bursche. >Ich werde dir schon sagen, wie wir auf King's Pyland mit ihnen fertig werden.< Damit war er aufgesprungen, durch den Stall gerannt und hatte den Hund losgemacht. Das Mädchen lief fort, ,dem Haus zu. Aber als es sich umdrehte, . lehnte der Fremde immer noch am Fenster und schaute hinein. Einen Augenblick später allerdings, als Hunter zum Stall hinausgelaufen kam, war der Fremde fort.
Obgleich er um das ganze Gebäude herumlief, konnte er keine Spur von ihm finden.«
»Einen Augenblick«, fragte ich. »Hat denn der Bursche, als er dem Fremden nachlief, die Stalltür offengelassen?«
»Ausgezeichnet, Watson, ganz ausgezeichnet!« murmelte mein Freund. »Dies ist ein Punkt von enormer Wichtigkeit, der mich so sehr beschäftigt hat, daß ich gestern deswegen ein Telegramm nach Dartmoor geschickt habe. Der Punkt ist aufgeklärt. Der Bursche hat den Stall verschlossen, bevor er sich auf die Suche nach dem Fremden machte. Ich möchte noch hinzufügen, daß das Fenster nicht groß genug ist, daß ein Mensch hindurchsteigen könnte.
Hunter wartete, bis seine Kollegen in den Stall zurückkehrten. Dann schickte er einen als Boten zum Trainer, um ihn zu informieren. Straker regte sich zwar ein wenig über den Zwischenfall auf, aber daß etwas wirklich Ernstes dahinterstecken könnte, schien ihm nicht in den Sinn zu kommen. Allerdings ließ ihn die Sache auch nicht ganz kalt. Als Mrs. Straker sehr früh in den ersten Morgenstunden aufwachte, war er dabei, sich anzuziehen. Sie fragte ihn, was denn los sei, und er meinte, er könne doch nicht schlafen und wolle im Stall einmal nach dem Rechten sehen.
Sie bat ihn, im Haus zu bleiben, denn der Regen schlug an das Fenster und der Wind fegte um das Haus. Aber so sehr sie auch bat, er zog seinen Regenmantel an und ging los.
Mrs. Straker wachte um sieben Uhr wieder auf und fand, daß ihr Mann immer noch nicht zurückgekehrt war. Sie zog sich nun selber schnell an, rief das Mädchen und ging zum Stall. Die Stalltür stand offen. Drinnen saß Hunter zusammengesunken am Tisch und war völlig betäubt.
Der Stall des Favoriten war leer und vom Trainer keine Spur zu entdecken.
Die beiden Burschen, die über den Ställen in einer kleinen Kammer schliefen, waren schnell wach. Während der Nacht hatten sie nichts gehört, denn sie sind feste Schläfer. Hunter stand offenbar noch unter der Wirkung einer starken Droge, es schien unmöglich, ihn zu wecken. So ließ man ihn schlafen, und die beiden Burschen und die Frau liefen, um Pferd und Trainer zu suchen. Sie hofften immer noch, daß der Trainer das Pferd zu einem Morgenritt herausgeholt
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