Die drei Sinfonie der Angst drei Fragezeichen
Die alte Leier
»Grundgütiger, Titus! Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Tante Mathilda stand in der Auffahrt des Gebrauchtwarencenters T. Jonas. Sie sah aus, als wäre sie kurz davor, ihren Ehemann samt seinen neuesten Einkäufen vom Hof zu jagen. Onkel Titus sank auf dem Fahrersitz seines Pick-ups um ein paar Zentimeter zusammen. »Es war ein Angebot, dem ich nicht widerstehen konnte!«
»Du kannst grundsätzlich keinem Angebot widerstehen!«, sagte Mathilda forsch. »Es ist doch immer wieder dieselbe alte Leier – in diesem Fall geradezu wörtlich! Wir werden zusehen müssen, dass wir die Dinger schnell loswerden.«
Sie sah sich mit ihrem gefürchteten Adlerblick um. Keine zwei Sekunden später hatte sie Justus und seine beiden Freunde entdeckt, die den Pick-up und dessen Ladung aus sicherer Entfernung beobachtet hatten. Bevor sie auch nur daran denken konnten, sich in ihr Geheimversteck zu flüchten, wurden sie von Mrs Jonas herangewinkt. »Wir brauchen den Wagen heute noch, daher müsst ihr die Einkäufe jetzt gleich abladen«, sagte sie mit strenger Miene. »Hinter den Gartengeräten und den Autoteilen ist noch etwas Platz. Bitte stellt alles ordentlich auf!«
Justus spähte neugierig hinüber zu seinem Onkel, der nun den Pick-up parkte. Auf der Ladefläche des Wagens waren offenbar einige Kisten gestapelt, über die Mr Jonas eine blaue Plane gespannt hatte.
»Die Leute wollen Stühle und Betten, Werkzeuge oder Blumenkübel«, ereiferte sich Tante Mathilda. »Sie brauchen Autoteile, einen günstigen Gartenschlauch oder hübsches Porzellan. Aber kein Mensch braucht alte Leierkästen!«
»Du irrst dich, meine Liebste!« Onkel Titus sprang etwas steifbeinig aus dem Wagen. »Unterschätze niemals die Macht der Musik!«
»Die Macht der Musik!«, echote Tante Mathilda mit vehementem Kopfschütteln.
Onkel Titus ignorierte die Geste. »Ganze Schwärme von Kunden werden den nostalgischen Klängen einer längst vergangenen Zeit erliegen.«
»Ich fürchte, der Einzige, der hier nostalgisch wird, bist du!« Tante Mathilda sah ihren Mann noch immer vorwurfsvoll an, allerdings schwang nun auch ein kleines bisschen Verständnis in ihrer Stimme mit. Titus Jonas hatte als junger Mann als Drehorgelspieler bei einem Zirkus gearbeitet. Die Erinnerungen an diese Phase seines Lebens waren ihm bis heute wert und teuer. Er hatte sich vor einigen Jahren – ebenfalls zum Entsetzen seiner Frau – sogar eine gebrauchte Orgel angeschafft und abends auf dem Hof alte Schlager und Seemannslieder gespielt. Der Mittwoch, an dem ein Kunde sie für einen wirklich guten Preis gekauft hatte, war ein schwarzer Tag für Onkel Titus gewesen.
Gemeinsam mit Peter und Bob löste Justus die Plane von der Ladefläche. Dabei kamen neun Leierkästen zum Vorschein. Sie waren teilweise etwas ramponiert: Bei einigen blätterte die Farbe ab, andere hatten nur noch drei Räder oder waren komplett von Spinnweben überzogen. Auf einem Kasten saß ein abgewetzter Stoffaffe mit verrosteten Becken in den Pfoten.
»Ich wette, dein Onkel wird sie nachher alle ausprobieren, Just!«, prophezeite Peter, während er die Ladung betrachtete.
Bob lächelte. »Was findet dein Onkel bloß an diesen alten Dingern?«
»Sein Herz hängt beinahe so sehr an der Musik wie an Kuriositäten und besonderen Antiquitäten«, erklärte Justus seinem Freund. Hinter sich hörte er ein Räuspern. Er drehte sich rasch um und sah Tante Mathilda, die nun direkt neben dem Pick-up stand. »Wenn Titus’ Herz tatsächlich so an der Musik hängt, dann hätte er mir zum letzten Hochzeitstag Karten für die Oper schenken können! Aber stattdessen habe ich ein Grubenlicht bekommen.«
»Du hast dich doch immer beschwert, dass es im Keller zu dunkel ist!«, verteidigte sich Onkel Titus. »Und die Lampe ist ein historisches Original aus einem europäischen Bergwerk – ein echtes Museumsstück!«
Tante Mathilda winkte energisch ab. »Eine neue, zeitgemäße Kellerbeleuchtung hätte es auch getan. Abgesehen davon habe ich in den Wochen vor unserem Hochzeitstag mehrfach erwähnt, dass ich gerne mal wieder in ein Konzert oder in die Oper gehen würde – und zwar nicht so provinziell hier in Rocky Beach, sondern ganz schick in Los Angeles!«
»Ich glaube, wir laden dann mal ab!«, verkündete Justus schnell, bevor sein Onkel und seine Tante einen richtigen Streit anfangen konnten. »Zeigst du uns, wo die Leierkästen hinsollen, Tante Mathilda?«
Es dauerte
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