Das Schapdetten-Virus
Die Nazis haben den Judenmord dadurch vorbereitet, dass sie die Juden mit Tieren gleichsetzten. Juden gleich Ratten, Parasiten, Schädlinge des gesunden Volkskörpers. Und Tiere darf man umbringen. Hätte es zu jener Zeit ein Lebensrecht der Tiere gegeben, wäre auch der Judenmord nicht möglich gewesen. So gesehen, ist der heutige Schlachthof die Fortsetzung von Auschwitz.«
Er sah an meinem Gesichtsausdruck, dass mir das frugale Frühstück wieder hochkam.
»Okay, ich behaupte nicht, dass es das Gleiche ist, ich sagte: Fortsetzung. Noch immer gehen die sogenannten zivilisierten Gesellschaften davon aus, dass es mindere Lebewesen gibt, die man beliebig töten darf.«
»Und alle Vergleiche mit Auschwitz haben nur den einen Zweck, das einzigartige Verbrechen, das damals begangen wurde, zu relativieren. Die rechten Historiker haben es mit Stalin und Pol Pot versucht, du machst es mit den Schweinen.«
Markus lächelte. »Und du regst dich darüber auf, weil auch du dich für was Besseres hältst. Hey, ich verstehe ja, dass es schwerfällt, ein Schwein als Bruder zu akzeptieren. Das hängt mit der ganzen beschissenen Philosophie des Abendlandes zusammen. Für die Hindus sind Kühe heilig, die christliche Religion lässt den Tieren nur die Rolle des Nahrungsmittels. Selbst der heilige Franziskus, der den Vögeln gepredigt hat, fand nichts dabei, einen Schweinebraten zu vertilgen. All die politischen Bewegungen, die es in den letzten Jahrhunderten gegeben hat, der Sozialismus, der Feminismus, die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen, die Bewegung für sexuelle Gleichberechtigung, beziehen sich ausschließlich auf Menschen. Eine Bewegung für die Rechte der Tiere gab es nicht. Na gut, Greenpeace macht ab und zu eine mediengeile Aktion gegen das Schlachten der Robbenbabys. Aber setzt sich Greenpeace für Schweine ein? Nein. Das liegt daran, dass Schweine nicht so süß sind wie Robbenbabys. Unsere Revolution, die Vegane Revolution, ist die umwälzendste aller Revolutionen. Die Arbeiter, die Frauen, die Schwarzen, die Schwulen und Lesben setzen sich für ihre eigenen Interessen ein. Schweine und Kühe können keine Bürgerrechtsbewegung oder Gewerkschaft gründen. Wir kämpfen für die Interessen aller artverwandten Wesen, und das schließt die Gleichberechtigung der verschiedenen Menschengruppen ein.«
»Und was ist mit Metzgern und Jägern?«
»Das sind Mörder.«
»Die man verletzen oder töten darf?«
»Das habe ich nicht gesagt. Wenn es nach mir ginge, würden sie umgeschult, damit sie einen sinnvollen Beruf ausüben können. Da wir keine Macht haben, sie dazu zu zwingen, werfen wir ab und zu einen Stein ins Schaufenster eines Metzgerladens. Quasi als Anstoß zum Nachdenken.«
»Und ihr sägt Hochsitze von Jägern an, das heißt, es ist euch egal, ob sie sich ein Bein brechen oder vielleicht sogar querschnittgelähmt sind.« Außerdem überfallt und betäubt ihr Nachtwächter, dachte ich, sagte es aber nicht.
»Das ist Berufsrisiko«, antwortete Markus. »Das Reh kann sich nicht wehren. Oder bist du dafür, dass Mörder und Kinderschänder ihren Neigungen nachgehen dürfen? Vielleicht in speziellen Erlebnisparks mit Warnschildern am Eingang: Betreten auf eigene Gefahr. Hier können Sie ermordet oder vergewaltigt werden. «
»Vieles von dem, was du sagst, finde ich richtig.« Ich bemühte mich, nicht allzu greisenhaft zu klingen. »Aber weißt du, worin ich eine Gefahr sehe? In eurem Einsatz für die Interessen der Tiere werdet ihr gleichgültig gegenüber den Menschen, den Menschen, die Tiere töten, natürlich, und das ist ja, direkt oder indirekt, immer noch die Mehrheit der Menschheit. Ein angeschossenes Reh rührt euch zu Tränen, und einem verletzten Jäger tretet ihr noch in den Arsch, bildlich gesprochen.«
Er dachte nach. »Okay, ich kann nicht für jeden Einzelnen in der Bewegung sprechen, die ist ja inzwischen ziemlich groß geworden. Wusstest du, dass es in Schweden Städte gibt, in denen ein Drittel der Abiturienten Veganer sind?«
»Lenk nicht ab!«
»Hatte ich nicht vor. Ich gebe zu, dass es gelegentlich Auswüchse gibt. Aber wenn man etwas erreichen will, muss man radikal sein, vielleicht manchmal einen Schritt zu weit gehen. Das hat es in allen politischen Bewegungen gegeben.«
Franka kam herein. Ihr Gesicht verriet Besorgnis, sie wirkte regelrecht verstört. Sie beachtete mich nicht und ging sofort zu Markus, beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Was ist?«,
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