Das Schapdetten-Virus
übertreiben – besonders in Gegenwart von jungen Frauen.
Wir saßen vor der Eisdiele an der Kreuzkirche. Ich hatte mir sogar von Jan ein Paar Plastikturnschuhe geliehen, als Zeichen meines guten Willens.
Mario trat ab, und es entstand eine kleine Pause, die wir mit einem verlegenen Lächeln überbrückten. Seit jenem denkwürdigen Augenblick, als wir die Höhle in den Baumbergen verlassen hatten, waren sechs Wochen vergangen, wahrscheinlich die sechs längsten Wochen meines Lebens.
In der Isolierstation des Klinikums hatte ich Koslowski, meine anderen männlichen Kollegen und die Tierpfleger des Schapdettener Affenhauses getroffen. Die ersten Tage vergingen in gespannter Unruhe zwischen Hoffen und Bangen, während Ärzte und Krankenschwestern in Schutzanzügen unsere Körperfunktionen überprüften. Wir sprachen wenig und horchten in uns hinein, jeder leise Kopfschmerz und jedes Nasenbluten konnten einen Panikanfall verursachen. Doch niemand wurde ernsthaft krank. Selbst Jens, der in einem eigenen, abgetrennten Zimmer lag, erholte sich langsam, wie uns die Krankenschwestern berichteten. Es war wohl tatsächlich nur eine Sommergrippe gewesen.
Und dann, nach etwa einer Woche, begann die Phase der Langeweile. Wir fühlten uns eingesperrt, zu viele Männer hockten auf zu engem Raum zusammen, das Essen wurde uns durch eine Luftschleuse hereingeschoben, nicht einmal die Fenster ließen sich öffnen. Es war wie in einem U-Boot, das auf dem Trockendock liegt und dessen Ausstiegsluke klemmt.
Die Stimmung wurde gereizter, bei den ewigen Skat- und Pokerrunden kam es immer öfter zu Streitereien, einige drehten durch und hämmerten mit bloßen Fäusten gegen die zentimeterdicken Glasscheiben.
Nach endlosen dreißig Tagen gaben die Ärzte Entwarnung. Menschen hatten sich definitiv nicht mit dem Schapdetten-Virus infiziert. Entweder sprang das Virus nicht von Affen auf Menschen über, oder es hatte keine Eintrittspforte, zum Beispiel eine offene Wunde, gefunden. Wie sich das Virus unter den Kapuzinern ausgebreitet hatte, blieb ein Geheimnis. Alle von Arilson importierten Affen waren tot, und Experimente mit anderen Tieren verboten sich aufgrund internationaler Verträge. Man hätte eine solche Testreihe als Versuch deuten können, eine biologische Waffe herzustellen.
Das Verlassen der Klinik war ein erhebender Moment. Ungefilterte Luft einzuatmen, Pflanzen und Natur nicht nur im Fernsehen oder aus dem dreizehnten Stockwerk zu betrachten, sich frei zu fühlen, war beinahe so, wie neugeboren zu werden.
Das Gefühl hielt genau eine Stunde an. Dann hatte ich zu Hause die Mahnungen sortiert und einen erschreckenden Kontoauszug aus dem Druckautomaten gezogen.
»Und was hast du jetzt vor?«, fragte ich.
»Och, ich hab mich für ein Studium eingeschrieben, Landschaftsarchitektur.«
»Schon was von deinem Prozess gehört?«
»Nee, das Ermittlungsverfahren läuft noch. Unser Anwalt meint aber, dass wir mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.«
»Das denke ich auch. Und was macht das Vegane Kommando Münsterland?«
»Das hat sich aufgelöst. Hat ja keinen Zweck mehr, die Bullen kennen ja jetzt unsere Namen. Sobald irgendwo etwas passiert, stehen die garantiert bei uns auf der Matte. Außerdem haben wir erreicht, was wir wollten.«
Ich hob fragend die Augenbrauen.
» Arilson importiert keine Affen mehr. Die haben den ganzen Geschäftszweig abgeschafft und das Affenhaus in Schapdetten dichtgemacht. Bei der Gelegenheit hat's auch gleich meinen Daddy erwischt.«
»Wieso?«
»Angeblich wär in seiner Gehaltsklasse keine andere Verwendung möglich. In Wirklichkeit haben sie ihn geschasst, weil er meine Beteiligung an der Geschichte vertuschen wollte.«
»Dann ist er bestimmt sauer auf dich.«
»Nein, im Gegenteil. Wir verstehen uns mittlerweile prächtig. Ich glaube, er ist ganz froh, dass er den Job los ist. Und, irgendwie, verstehst du, hat er darunter gelitten, dass ich nicht mehr mit ihm geredet habe.«
»Verstehe ich«, sagte ich.
»Na, jetzt liest er sogar meine Bücher, und wir unterhalten uns über die Terrorherrschaft der Menschen über die anderen Tiere.«
Mario stellte unsere Bestellung auf dem kleinen Metalltisch ab, nicht ohne Franka unverschämt anzugrinsen. »Gelato di soia für die Signorina.«
Ich trank einen Schluck Kaffee durch den Strohhalm.
»Und wie ist es bei dir so?«, erkundigte sich Franka.
»Der alte Trott: schnüffeln, observieren, verfolgen, Berichte schreiben, mich mit meiner Exfrau
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