Das Schiff - Roman
Schiffsleitung die drei Schiffskörper mit Treibstoff versorgen. Wenn sich die Antriebe erwärmt haben und wieder funktionieren, wird sich das Schiff um den Bruchteil eines Grades drehen und danach wieder abkühlen und sich in den Schlafmodus zurückziehen. In unserer Kugel auf dem Mond müssen wir sparsam mit Treibstoff umgehen, damit wir die Schutzschilde aufrechterhalten können. Doch auch deren Leistungskraft wird nicht mehr so stark sein wie zu der Zeit, als wir eine Katastrophe nach der anderen durchstanden.
Unser Stern ist wunderschön: eine Sonne mit mindestens zwölf Planeten, von denen zwei in einer lebensfreundlichen
Zone liegen, und mit einem äußeren Kranz aus Eis, ähnlich der Oort-Wolke.
Wenn das Schiff in zweihundert Jahren das klare, ruhige Vakuum durchquert hat, in dem es kaum Sternenstaub gibt, wird es aus dem Kälteschlaf erwachen. Schon lange vorher werden Kim, Tsinoy und ich alle dunklen Seiten aus dem Klados entfernt haben. Schließlich werden sich die drei Schiffskörper miteinander verbinden, und das Schiff kann sein letztes, hundert Jahre währendes Bremsmanöver durchführen. Dafür wird es fast alles opfern müssen, was von dem kleinen Mond noch übrig ist. Danach wird es mit dem langwierigen Abstieg ins innere System beginnen.
Und dann wird man auch die Babys wecken, sie großziehen, unterrichten, in ihre Aufgaben einweisen. Sie werden die erste neue Besatzung stellen. Einige von uns werden sich einfrieren lassen, um ihnen als Lehrer zu dienen. Möglich, dass ich einer davon bin, aber das ist jetzt nicht mehr entscheidend, nicht mal mehr wichtig.
Und am Ende, wenn die endgültige Entscheidung darüber gefallen ist, ob wir auf einem der beiden lebensfreundlichen Planeten landen können, werden auch die Babys sterben, die dann uralte Menschen sind. Genau wie diejenigen, die diese Kinder großgezogen und ausgebildet haben. Wir werden Platz für eine neue, junge Schiffsbesatzung machen. Platz für Landefahrzeuge und Samenkapseln …
Ach ja, noch etwas: Täuschungsmanöver wird es nach wie vor geben. Die neue Schiffsbesatzung wird zwar im Erwachsenenalter zur Welt kommen, sich aber gut an
ihre Ausbildung und ihr Leben in vergangenen Jahren erinnern können. Unsere Geschichten, unsere Leben werden sich fortsetzen. Ich werde nicht zulassen, dass die Liebe aus unseren Leben verschwindet, nur weil sie nie Wirklichkeit gewesen ist.
Allmählich wird es kalt in der Kugel. Nell und ich versuchen uns einen letzten Rest Wärme zu erhalten, indem wir uns aneinander kuscheln.
Letzte Nacht habe ich die Erscheinung erneut gesehen. Rank und schlank, und sie glänzte wie reines Mondlicht. Nell, die neben mir lag, bekam nichts davon mit. Ich hatte das Gefühl, dass die Erscheinung mich erkannte und mich ihrerseits deutlich wahrnahm, aber vielleicht habe ich auch nur geträumt. Auch jetzt träume ich fast. Ich kann kaum noch schreiben, und die Seiten dieses elften Notizbuchs sind beinahe voll. Weitere Notizbücher wird es nicht geben.
Ich kann unsere neue Welt deutlich vor mir sehen
Mäßige Bewölkung
Ich spüre die Wärme
Meine Gefährtin wartet auf mich
Sie lächelt
Sie ist alles, was ich je begehrt habe
WIR
SIND
ANGEKOMMEN
HIER ENDET DER
ARCHÄOLOGISCHE BERICHT DES SCHIFFS
Die Verse aus »Alice im Wunderland« wurden zitiert nach Lewis Carroll, Alice im Wunderland, übersetzt von Christian Enzensberger (Insel Taschenbuch, 1. Auflage), Frankfurt am Main 1973, Seite 122/123.
Titel der amerikanischen Originalausgabe
HULL ZERO THREE
Deutsche Übersetzung von Usch Kiausch
Deutsche Erstausgabe 09/2011
Redaktion: Ralf Dürr
Copyright © 2010 by Greg Bear
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
eISBN 978-3-641-06112-8
www.heyne-magische-bestseller.de
www.randomhouse.de
Weitere Kostenlose Bücher