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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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allmählich. Die Lichter versinken hinter den Holztüren. Pietro bleibt vor einem
Stand mit Granatsplittern und polierten Patronenhülsen stehen … Souvenirs für
die Touristen. Er nimmt eine Patronenhülse, legt sie zurück, lacht und nimmt
eine andere, schwerere.
    »Wie viel Leute kann
man damit umbringen?«
    Ich möchte ihm einen
Fußtritt verpassen.
    Gojko ärgert sich
nicht, im Gegenteil, er scheint sich gleichfalls zu amüsieren.
    »Das Kriegsrecycling
ist unsere saubere Energie.«
    »Hast du den Krieg
mitgemacht?«
    Gojko nickt, zündet
sich eine Zigarette an, senkt die Stimme, vielleicht hat er keine Lust mehr,
weiterzusprechen.
    »Wie alle.«
    »Warst du Soldat?«
    »Nein, ich war
Dichter.«
    Pietro ist
enttäuscht. Für ihn sind Dichter ein Haufen schmalbrüstiger, dem Unglück
verfallener, armer Schlucker, die Millionen Schülern, normalen, unbeschwerten
Jugendlichen, das Leben zur Hölle machen. »Ich habe Hunger«, sagt er.
    Wir verlassen die Baščaršija und kehren unter einem Laubengang aus
Holz ein, um im Freien zu essen, in einem eher öden Lokal, einer dieser Buden
im Berghüttenstil mit Aluminiumtischen und Neonlicht. Von drinnen kommt der
Geruch von Zwiebeln und gebratenem Fleisch, der unverwechselbare Geruch von
Speisen, die einem wieder hochkommen. Gojko sagt, sie machen hier gute Ćevapčići. Das Mädchen, das den Tisch eindeckt,
greift unbekümmert mit drei Fingern in unsere Gläser. Pietro bestellt eine
Coca-Cola, er bittet Gojko, das Wort Strohhalm zu übersetzen.
    Wir essen, die Ćevapčići schmecken köstlich, sie füllen den Mund
mit etwas Gutem, mit Blut und Leben. Der Pfeffer brennt in meinem wunden Mund,
doch was soll’s. Ich bin jetzt nicht mehr müde, und durch das herrliche,
würzige Aroma, das sich über die Jahre offenbar nicht verändert hat, ist mein
Appetit wieder da. Vielleicht hilft auch der Alkohol, eine Flasche Rotwein aus
Montenegro. Es ist
kein Brunello ,
hat Gojko gesagt, aber er
ist sumpfig .
Vielleicht wollte er samtig sagen, manchmal verwechselt er in seinem nahezu perfekten Italienisch die
Wörter. Doch seine Fehler sind goldrichtig, im Grunde genommen ist dieser Wein
sumpfig, er versetzt uns in den Schutz einer schlammigen Langsamkeit zurück.
    Auch an dem Tag, als
wir uns kennenlernten, aßen wir Ćevapčići. Wir kauften sie an einem Kiosk und
aßen sie im Stehen, bei klirrender Kälte. Die Frau, die sie briet, trug eine
Wolljacke mit Zopfmuster und eine Kochhaube. Sie schaute unserem Hunger zu,
beobachtete jeden Bissen und freute sich, dass ihre Ćevapčići uns schmeckten. Sie waren ein
Gedicht. Der Stolz ihres kleinen Lebens als Imbissköchin. Ich sehe sie vor mir,
als wäre es heute, ein proletarisches Gesicht, leidgeprüft, doch unendlich
sanft. Einer dieser wohltuenden Menschen, die dir zufällig begegnen und die du
umarmen möchtest, weil sie dir aus der Tiefe ihrer menschlichen Erfahrung
zulächeln und dich schlagartig für die andere, die entmutigende Hälfte der
Menschheit entschädigen, für die Leute, die gefangen in ihrer Pfütze der
Düsternis sitzen. Wie vielen glücklichen Menschen bin ich damals in Sarajevo
begegnet! Alle hatten rote Wangen, von der Kälte, natürlich, doch auch aus
Schüchternheit, weil sie sich zu hoffen trauten.
    Das war während der
Olympischen Winterspiele. Das eindrucksvolle Gebäude der Nationalbibliothek im
neomaurischen Stil war wie eine eigene Stadt. Dort, in einem der Säle, deren Säulen
nach oben zum Licht ferner Fenster davonstrebten, die wie die einer Kathedrale
gearbeitet waren, lernte ich Gojko kennen. Ich saß auf einem kleinen
Beamtenstuhl unter einem Überhang alter Folianten und fühlte mich winzig klein.
Da kam dieser Kerl herein, mit rötlichem Haar, eingemummt in eine mit zerdrücktem
Fell gefütterte Lederjacke, und bewegte sich ruckartig wie eine klobige,
mechanische Puppe.
    »Sind Sie Gemma?«
    »Ja.«
    »Ich bin Ihr
Fremdenführer.«
    Wir gaben uns die
Hand, ich lächelte ihn an, er war unglaublich groß und breit gebaut.
    »Sie sprechen gut
Italienisch.«
    »Ich fahre wenigstens
einmal im Monat nach Triest.«
    »Studieren Sie dort?«
    »Handel mit Jo-Jos.«
    Er steckt eine Hand
in die Jackentasche und zieht eine von diesen Plastikrollen hervor, die man an
einer Schnur fortwerfen und wieder einfangen kann.
    »Sie verkaufen sich
gut hier, wirken entspannend. Es herrscht viel Stress unter den Jugendlichen,
wir mussten hart arbeiten wegen der Olympiade, und wir arbeiten nicht gern
hart.

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