Das schönste Wort der Welt
Aber die Stadt musste ja aufpoliert werden, verstehen Sie?«
Er lacht, und ich
weiß nicht, warum.
»Wohnen Sie in einem
guten Hotel?«
Ich schüttelte den
Kopf. Ich wohnte in einer mit Touristen überfüllten Pension.
»Mögen Sie den
Sternenhimmel?«
»Wieso?«
»Wenn Sie wollen,
können Sie auch unter einer der zahllosen Brücken an der Miljacka schlafen,
kein Mensch wird Sie belästigen, nicht ein Betrunkener ist mehr unterwegs und
auch kein einziger Taschendieb. Kommunistische Sauberkeit. Es ist das erste
Mal, dass wir der ganzen Welt unseren Hintern zeigen, verstehen Sie, was ich
meine?«
Ich musste meine
Masterarbeit über Andrić abschließen
und hatte um einen kompetenten Fremdenführer gebeten, stattdessen saß ich nun
mit einem Jo-Jo-Händler da.
Er zieht ein Jo-Jo
hervor und spielt damit herum, führt mir diverse Kunststückchen vor und fragt,
ob ich es kaufen will.
»Das wäre ein schöner
Witz«, sagt er, »einer Italienerin ein Jo-Jo aus Triest verkaufen, für so eine
Nummer würden mir meine Freunde glatt einen ausgeben.«
Ich war einige Tage
zuvor in Sarajevo angekommen. Der Zauber des Schnees und dieser Stadt in
Festtagsstimmung passte nicht so recht zu meiner Laune. Ich war gereizt und
unzufrieden. Irgendwie konnte ich mich nicht eingewöhnen. Für diese
Forschungsarbeit hatte ich mich auf Drängen meines Professors entschieden, der
mich im Grunde nur für eine seiner Publikationen über die Literatur des Balkans
ausnutzte. Um mir die Laune zu verderben, genügten nun, nach zwei Tagen
Durchfall, schon die Gerüche dieser allzu rustikalen Küche, die Kälte, die ich
schlecht vertrug, und der Atem eines jämmerlichen Provinzlers, der in seiner
albernen, mit Siamkatze gefütterten Jacke aus schwarzem Leder den tollen Hecht
spielte.
Angeekelt betrachtete
ich seine zu einem Zopf gebundenen fettigen Haare. An den Füßen hatte er ein
Paar spitze Stiefel, wie ein Zigeuner. Ich war mir nicht sicher, ob er die
Parodie eines Rockers oder eines Wolfsjägers war. Ich sagte: »Hör mal, ich brauche
jemanden, der mich in Sarajevo, in Višegrad
und in Travnik zu den Orten von Andrić
führt … Du bist da vielleicht nicht der Richtige.«
»Warum denn nicht?«
»Du scheinst mir
nicht gerade ein Intellektueller zu sein.«
»Kein Problem, ich
habe ein Auto.«
Ich stellte mir einen
verdammten Yugo mit einem Auspuff vor, der schwarzen Qualm spuckte wie die
meisten Autos, die da herumfuhren, doch er erschien mit einem Golf. Nicht
gerade sauber, aber ganz passabel.
»Die Dinger werden
hier bei uns zusammengebaut«, erklärte er. »Weißt du, warum die Deutschen auf
uns zählen?«
»Nein, weiß ich
nicht.« Ich sah aus dem Autofenster. Es war früh am Morgen, er war zwar
pünktlich gekommen, doch man merkte, dass er nicht viel geschlafen haben
konnte.
»Weil wir so präzise
sind. Auch wenn wir viel kosten.«
Er lacht, zu laut. Er
lacht allein. Dann schlingt er die Fransen dieses Lachens hinunter, zurück
bleibt ein Schluckauf. Vielleicht sind das die Nachwehen von seinem letzten
Besäufnis.
»Hast du das etwa
geglaubt?«
Am liebsten möchte
ich ihm sagen, dass er still sein soll, ich bezahle ihn, also soll er
gefälligst aufhören. Er stinkt wie ein nasser Hund, sein Schluckauf verpestet
die Luft mit Šljivovica-Dünsten, und außerdem hat er einen
miesen Charakter, das wird mir jetzt klar. Er scheint sich zu ärgern, weil ich
nicht nachfrage, mich nicht dafür interessiere, was er erzählt.
»Vielleicht sind wir
doch nicht so präzise, dafür aber garantiert spottbillig.« Er sagt das in einem
schroffen Ton, als wäre er wütend auf mich.
»Ich bezahle dich
aber gut.«
Er schaut mich an,
während er fährt, ohne noch auf die Straße zu achten.
»Du musst ja eine
ganz große Hure sein!«
Ich sehe ihn nicht
an, ich habe den dünnen, steifen Hals einer dummen Statue. Ich habe Angst, bin
aber zu stolz, dieser Angst nachzugeben. Ich bin das ideale Opfer für einen
Irren. Eine, der man selig stöhnend den Hals umdrehen kann. Er ist ein grobschlächtiger,
slawischer Kerl, den seine gefütterte Jacke noch bulliger macht, wahrscheinlich
hat er lockere Bremsen, ganz wie der Kommunismus nach Titos Tod. Ich bin ein
bürgerliches, zickiges Mädchen, gehöre dem Rückschritt an, der neuen Generation
junger Mädchen, die nach dem Feminismus wieder High Heels tragen und auf den
sterblichen Überresten fanatischer Birkenstockelsen nun tänzelnd den Überfluss
des neuen Jahrzehnts genießen.
Ich bitte
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