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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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traditionellen russischen Begriffen als starker Mann zu beweisen, wurde dieses Manöver zu einem Fehlschlag. Durch das ganze Jahr 1995 hindurch gierte er nach seinem Endsieg, der ihm immer wieder versagt blieb. Die Stimmung der russischen Bevölkerung, die ihre jungen Söhne in Leichensäcken aus dem Kaukasus heimkehren sah, wurde erbittert tschetschenenfeindlich, aber sie wandte sich auch gegen den Mann, der ihr keinen Sieg bringen konnte.
    Unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven gewann Boris Jelzin im zweiten Wahlgang mit einigem Vorsprung das Rennen um die Präsidentschaft. Ein Jahr später war er erledigt. An seine Stelle trat der Technokrat Josef Tscherkassow, Vorsitzender der zentristischen russischen Heimatlandpartei, die jetzt der breitgefächerten Demokratischen Allianz angehörte.
    Tscherkassow schien gut zu beginnen. Aus dem Westen erhielt er nicht nur die besten Wünsche, sondern auch die wichtigeren weiteren Kredite, die dazu beitrugen, die russische Volkswirtschaft einigermaßen in Gang zu halten. Auf Drängen des Westens schloß er einen Friedensvertrag mit Tschetschenien, und obwohl die rachsüchtigen Russen sich nicht mit dem Gedanken anfreunden konnten, die Rebellion der Tschetschenen sollte doch erfolgreich gewesen sein, war das Heimholen der Soldaten populär.
    Innerhalb von achtzehn Monaten ging dann einiges schief. Dafür gab es zwei Gründe: erstens die Raubzüge der russischen Mafia, die sich letztlich einfach als zu belastend für die Volkswirtschaft Rußlands erwiesen, und zweitens ein weiteres unüberlegtes militärisches Abenteuer. Ende 1997 drohte Sibirien, wo neunzig Prozent aller russischen Bodenschätze konzentriert waren, mit Abspaltung.
    Sibirien blieb die am wenigsten gezähmte aller russischen Provinzen. Aber unter seinem Permafrostboden lagen noch kaum erforschte Öl- und Erdgasvorkommen, zu denen vergleichsweise sogar Saudi-Arabien unterversorgt wirkte. Dazu kamen Gold, Diamanten, Bauxit, Mangan, Wolfram, Nickel und Platin. Auch Ende der neunziger Jahre war Sibirien weiterhin das letzte unerschlossene Land dieses Planeten.
    Dann gingen in Moskau Berichte ein, in Sibirien seien japanische und vor allem südkoreanische
Jakusa-
Abgeordnete unterwegs, die auf Abspaltung drängten. Präsident Tscherkassow, der von seiner Runde aus Speichelleckern schlecht beraten wurde und anscheinend nichts aus den Fehlern seines Vorgängers in Tschetschenien gelernt hatte, setzte die Armee nach Osten in Marsch. Dieser Entschluß löste eine Doppelkatastrophe aus. Nach zwölf Monaten ohne militärisches Resultat mußte er einer Verhandlungslösung zustimmen, die den Sibirern weit mehr Selbständigkeit und Kontrolle über die Erträge ihres eigenen Reichtums einräumte, als sie je besessen hatten. Und zweitens stürzte dieses Abenteuer Rußland in eine Hyperinflation.
    Die Regierung versuchte, ihre Probleme mit der Notenpresse zu lösen. Im Sommer 1999 waren die Tage, an denen ein Dollar wie Mitte der neunziger Jahre fünftausend Rubel gekostet hatte, nur noch eine schöne Erinnerung. Im Schwarzerdegebiet am Kuban waren in den Jahren 1997 und 1998 zwei Getreidemißernten eingebracht worden, und die Ernte aus Sibirien blieb liegen, bis sie verrottet war, weil Partisanen die Bahngleise sprengten. In den Städten erreichte der Brotpreis astronomische Höhen. Präsident Tscherkassow klammerte sich an sein Amt, war jedoch offensichtlich nicht mehr an der Macht.
    Auf dem flachen Land, das sich wenigstens selbst hätte ernähren können müssen, waren die Zustände am schlimmsten. Die Kolchosen – mit dünner Kapitaldecke, ohne genügend Arbeitskräfte, mit zusammenbrechender Infrastruktur – lagen brach, und ihre fruchtbaren Böden produzierten Unkräuter. Auf Provinzbahnhöfen haltende Züge wurden von der Landbevölkerung – hauptsächlich älteren Menschen – belagert, die an den Waggonfenstern Möbel, Kleidungsstücke und Antiquitäten gegen Geld oder noch lieber gegen Essen feilboten. Sie fanden nur wenige Käufer.
    In Moskau, der Hauptstadt und dem Schaufenster des Landes, schliefen Mittellose auf den Kais entlang der Moskwa und in Hinterhöfen. Die Polizei – in Rußland als Miliz bezeichnet –, die den Kampf gegen das Verbrechen praktisch aufgegeben hatte, bemühte sich, sie zusammenzutreiben und in Züge in ihre Heimat zu setzen. Tagtäglich trafen jedoch weitere Menschen ein, die Arbeit, Essen und Unterstützung suchten. Aber vielen von ihnen würde nichts anderes übrigbleiben,

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