Das Schweigen meiner Mutter
sie zu meiner Mutter sagen, »Doritke hat mir gesagt, dass sie wieder ihren Vater gesucht hat.« Sie seufzte, die alte Klatschbase.
»Schsch«, beschützte mich meine Mutter auf ihre übliche Art und Weise. Und nochmals ein »Schsch«. Ich kochte vor Zorn auf meine Mutter, auf Itta und auf Dorit, die Petze. Ich lief zu Chajale Fink, um mich zu trösten und zu rächen.
Chajale schwebte in einem rosa Primaballerina-Kostüm, das ihren mageren Körper eng umschloss, durch andere Welten. Die Schnüre ihrer Ballettschuhe wanden sich um ihre dünnen Unterschenkel, und ihre langen Haare waren zu einem Zopf geflochten und wie eine Krone um ihren Kopf gelegt. Sie saß auf dem Bett in ihrem Zimmer, das vollgestopft war mit Puppen, Haarspangen, Ballettkleidern, mit Kostümierungen aller Art und einem Klavier – Rhythmik für Fortgeschrittene.
Als ich ihren Trost und meine Rache ausgekostet hatte, schlich ich mich hinaus, setzte mich auf den Rasen und beobachtete Jona und Jissachar, ihre Väter. Sie wühlten im Inneren kaputter Radiogeräte herum, schraubten und schweißten Teile zusammen, bis sie den schon dem Tode nahen Geräten ihre Stimme wiedergegeben hatten.
Nach einiger Zeit bemerkte Chajale, dass ich ihr abhandengekommen war, und schrie mir aus ihrem Zimmerfenster zu, ich sei nicht mehr eingeladen, sie zu besuchen.
Dann eben nicht, flüsterte ich und blieb sitzen, um Jona und Jissachar weiter zuzuschauen.
Wozu brauchte sie zwei Väter? Ich war außer mir. Warum hatte sie zwei und ich nicht mal einen? In der Nacht nach jenem Tag träumte ich zum ersten Mal, dass meine Mutter Chajales Reservevater heiratet. Im Traum hatte ich mich gefreut, aber am nächsten Morgen war ich mit zugeschnürter Kehle aufgewacht.
Dorit wartete auf mich. »Auch die Beerdigungen sind nicht mehr das, was sie einmal waren«, sagte sie als Reaktion auf die wenigen Trauergäste.
»Bei unseren Beerdigungen wird es lustiger zugehen«, entgegnete ich lächelnd.
»Ein schöner Trost!« Sie lachte.
»Wie geht es dir?«, erkundigte ich mich.
»Glücklich wie immer«, antwortete sie mit dem ihr eigenen Zynismus.
»Was ist mit Fejge passiert?«
»Gestorben, wie du siehst.«
»Woran?«
»Woran? Am Leben.« Dorit lächelte leicht. Dann kam es ihr in den Sinn zu fragen: »Und wie geht es dir? Deinem Mann? Den Kindern?«
»Sie leben«, antwortete ich knapp und umfassend, wie es zwischen uns üblich war.
Schweigend gingen wir Richtung Friedhofstor. Unterwegs studierte ich die Grabsteine, an denen wir vorbeikamen, jeden einzelnen.
Ich traf Herrn Poschibuzki, den verrückten Glaser, er ruhe in Frieden; Koslowski, den Elektriker, und seine Frau, sie mögen im Paradies ruhen; die beiden Finks – die Zwillingsbrüder Jona und Jissachar; Dr. Wollmann und seine Frau; Herrn und Frau Silberman, die Eltern von Ofer, dem Problematischen.
Am Ende der Reihe, unter einem prachtvollen Marmorstein, lagen Dorits Eltern.
Dorit hielt inne. Ich blieb neben ihr stehen.
Schmulik und Itta. Die Namen von Dorits Eltern brachten mich zurück in jenen heißen Sommer zwischen der dritten und vierten Klasse, jenen Sommer, in dem auch ich im allerbesten Sommercamp angenommen worden war. Dieses Sommercamp war eigentlich nur für die Kinder von Egged-Angestellten, doch am zweiten Ferientag sagte mir Dorit, ihre Mutter habe alles organisiert, ihr Vater habe mich angemeldet und angegeben, er wäre auch mein Vater.
Am dritten Ferientag fand auch ich mich am Treffpunkt ein. Früh am Morgen kam der Autobus, der die Kinder jeden Tag ins Sommercamp brachte. Schmulik Rosenfeld, mein zeitweiliger Vater, war der Busfahrer. Dorit und ich setzten uns hinter ihn, dicht nebeneinander, aufgeregt und fast platzend vor Stolz.
Bald nach meiner Ankunft in der anderen Welt, im Sommercamp am blauen Meer, spielte auch ich, wie Dorit, mit all denanderen Kindern, die einen Vater bei Egged hatten. Ich flocht ein Körbchen aus Stroh, ich bemalte ein Hemd mit Batikfarben und bastelte mir aus bunten Nylonfäden einen Schlüsselanhänger. Zum Mittagessen bekam auch ich Himbeersaft und ein Brötchen mit zäher Erdbeermarmelade. Jetzt wusste ich, was Glück ist.
Nach vier Tagen Glück, kurz vor dem berühmten Sportfest, das am Strand stattfinden sollte, stand der Gruppenleiter morgens an der Bustür, las die Namen der Kinder vor und verteilte an alle eine Mütze und ein Hemd.
Nur meinen Namen las er nicht vor, nur ich bekam weder eine Mütze noch ein Hemd.
»Wie heißt du?«,
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