Soehne des Lichts
1.
„Feuersbrünste, Sturmfluten, Erdbeben, Wirbelstürme – ich habe den Zorn der entfesselten Elemente gesehen und fürchte sie. Doch mehr als dies fürchte ich den Zorn einer Frau.“
Zitat aus „Jianmaco“, Theaterstück, uraufgeführt in Roen Orm,
2034 n. Gründung
Schlecht gelaunt trieb Inani die Gruppe durch den Nebel vor sich her. Sie mochte diese Männer nicht – Söldner aus Akanor am Südmeer. Die Kämpfer hatten Thamar zwar schon vor Jahren die Treue geschworen, doch sie galten als wenig zuverlässig. Man musste sich ständig Aufgaben für sie ausdenken, damit sie sich nicht langweilten und unruhig wurden, oder sogar einen anderen Herrn suchten. Akanor war eine zu wichtige Macht, als dass man sie außen vorlassen durfte.
Thamar hatte sie nach Briol geschickt, um Vieh zu stehlen. Briol war eine reiche, stark befestigte Stadt, deren Bewohner an Wegelagerer gewöhnt waren und ihr Hab und Gut zu verteidigen gewusst hatten. Die erbeuteten Rinder und Schafe waren die Mühe durchaus wert gewesen. Einige Männer des kleinen Söldnertrupps waren verletzt worden, sie fühlten sich jetzt als Helden – und damit war der Hauptzweck der Unternehmung erfüllt.
Inani hasste es trotzdem, diese grölende Bande führen zu müssen. Sie war mittlerweile einundzwanzig Jahre alt und Mittelpunkt der männlichen Aufmerksamkeit, wohin auch immer sie ging. Ihre flammendroten Haare zogen alle Blicke auf sich – bewundernde wie verängstigte. Der Aberglaube, dass rothaarige Frauen Anhänger des Finsterlings waren, hatte sich in den letzten Jahren eher noch verstärkt. Am Königshof war Inanis Stellung davon allerdings nicht beeinträchtigt, im Gegenteil: Viele adlige Männer versuchten ihr nahe zu kommen.
Als sie endlich die Holzhütten von Thamars Siedlung erreicht hatten, atmete sie erleichtert auf.
Die Söldner waren schwieriger zusammenzuhalten gewesen als die Tiere, mehr als einmal wäre ihr beinahe einer der Männer im Nebel verloren gegangen. Wie sehr sie ihre Vertraute
vermisste! Aber die Leopardin hatte im Frühjahr Junge geworfen und konnte Inanis Ruf nicht folgen, ohne die Kleinen zu gefährden. In höchster Not würde die Raubkatze ihre eigenen Jungen im Stich lassen, um Inani beizustehen. Doch das war ein Opfer, das sie nicht annehmen wollte, sollte es irgendwie zu vermeiden sein. Wenn sie durch den Nebel wanderte, besuchte sie die Leopardin dafür bei jeder Gelegenheit. Die zwei Kätzchen akzeptierten Inani wie eine zu groß geratene Schwester, versuchten mit ihr zu balgen und attackierten mit ihren nadelspitzen Zähnchen ihre Stiefel. Es waren wundervolle Momente des Friedens, die Inani sich erschlich. Im Augenblick hätte sie ihren rechten Arm dafür gegeben, bei ihrer Seelenschwester sein zu dürfen.
„Du siehst etwas unfröhlich aus.“ Corin empfing sie mit sanftem Lächeln und tatkräftigen Händen. Innerhalb weniger Minuten hatte die blonde junge Frau das Vieh auf eine Weide geführt, Platz in den Ställen für eine Kuh gefunden, die bald kalben würde, und die Söldner fortgescheucht.
„Die Kerle sollen selbst für sich sorgen, die wissen ja, wo alles zu finden ist.“ Corin lachte und umarmte Inani herzlich. Es war einige Wochen her, seit sie sich zuletzt getroffen hatten.
„Pya weiß, du hast mir gefehlt“, erwiderte Inani seufzend und lächelte endlich. „Es ist unruhig in Roen Orm. Maondny hat sich noch nicht geäußert, trotzdem bin ich sicher, der König wird bald sterben. Die Priester schwärmen wie die Motten durch den Palast, es sind mehr Adlige versammelt, als ich es jemals erlebt habe. Ich schaffe es kaum, mich für eine halbe Stunde zu Niyam zu schleichen, alle paar Sekunden klopft jemand an meine Tür.“
Corin nickte nachdenklich. „Ja, man spürt selbst hier, dass irgendetwas anders ist. In Bewegung, könnte man sagen. Thamar wird Tag und Nacht belagert, Kythara schleppt Männer heran, die ich vorher nie gesehen habe. Viele bleiben nur ein paar Minuten und werden sofort wieder fortgebracht. Ich wage kaum, Kythara anzusprechen, sie ist schrecklich gereizt. Und Thamar will ich auch nicht belästigen, er ist sehr angespannt.“
„Es wird höchste Zeit, dass die Sache sich entwickelt, wir warten bereits lange genug.“ Inani umarmte sie und wollte dann gehen, doch Corin hielt sie fest.
„Bitte, bleib wenigstens heute Nacht. Du bist das erste freundliche Gesicht seit Wochen. Niemand hat Zeit, mit mir zu reden, es sei denn, um mir einen Auftrag zu geben. Thamar
Weitere Kostenlose Bücher