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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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fragte er erstaunt.
    »Alisa Roża«, antwortete ich.
    »Arbeitet dein Vater bei Egged?« Er suchte meinen Namen in seiner Liste.
    Ich schaute zu Schmulik, der am Steuer saß. Er schwieg.
    »Aha«, sagte der Gruppenleiter. Er hatte das Schweigen verstanden.
    Im Sommer zwischen der dritten und der vierten Klasse hatte ich meinen Vater noch immer nicht gefunden, nicht zu Hause, nicht in der Synagoge, nicht in der Krankenkassenambulanz.
    Ich starrte verzweifelt auf Schmulik Rosenfeld.
    »Mein Vater ist so gut wie ihr Vater«, versuchte Dorit mich und die Situation zu retten.
    »Geh in das Sommercamp deines Vaters«, verlangte der Gruppenleiter.
    »Aber sie hat kein anderes Sommercamp«, rief Dorit wütend.
    Ich stieg die Stufen hinunter, die Tür schloss sich, der Autobus fuhr los.
     
    Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, machte ich mir ein eigenes Sommercamp.
    Ich richtete mich in dem ausgetrockneten Bewässerungsgraben einer Pinie ein, nahe der Allee unseres Viertels. Ich riss Nadeln von den Zweigen, träumte vor mich hin und sah meinen Vater.
    Er spähte aus dem Hof gegenüber zu mir herüber, er machte mir mit dem Finger ein Zeichen, zu ihm zu kommen, und brachte mich in sein Sommercamp. In das Sommercamp meines Vaters fuhr man nicht mit einem Egged-Autobus, malte ich mir in meiner Phantasie stolz aus, in das Sommercamp meines Vaters flog man mit einem Flugzeug. Im Sommercamp meines Vaters gab es nicht nur das Meer. Dort gab es Berge, Wälder und Schnee. Ich stieg auf einen Berggipfel, ich pflückte Kirschen und Himbeeren, und der süße Geschmack füllte meinen Mund.
    Ich fürchtete, jemand könnte mir und meinen Gedanken auf die Spur kommen, ich schaute mich um, sah aber nur die Wäscheleinen der Familie Poschibuzki, an der Kleider von Golda Poschibuzki und ihrer Tochter Bracha hingen sowie die blaue Arbeitskleidung von Chajim Poschibuzki, dem verrückten Glaser.
    Ich spähte auch durch das halb offene Küchenfenster von Sabusch. Seine Mutter knetete einen Hefeteig auf der Anrichte, ein Zeichen, dass am Abend ihre ungarischen Freundinnen zum Kartenspielen kommen würden.
    Einer von Chajales Vätern ging eilig auf der Straße vorbei, mit einem kaputten Radiogerät in den Händen.
    Vielleicht würde mich bald jemand adoptieren, vielleicht würde meine Mutter doch noch einen der Finks heiraten.
     
    Einmal hatte ich mich getraut, meine Mutter zu fragen, ob sie die Finks mochte.
    »Natürlich«, hatte sie gesagt, »Gitl ist eine tüchtige Frau.«
    Sie hatte den Wink nicht verstanden. Danach hatte ich keine Fragen mehr gestellt, aber nicht aufgehört zu hoffen.
     
    In den heißen Mittagsstunden ruhte ich mich auf der Bank an der Bushaltestelle aus und starrte verzweifelt auf die Gehsteigplatten.
    Am Ende des Tages kehrte ich nach Hause zurück und erzählte meiner Mutter von den aufregenden Erlebnissen im Sommercamp. Sie hörte zu.
     
    Auch am nächsten Tag ging ich morgens in mein eigenes Sommercamp. Dort begrüßte mich schwanzwedelnd ein dreckiger Straßenköter. Ich nannte ihn Schmulik und überlegte, ob ich mit ihm in der Allee spazieren gehen sollte. Plötzlich kam Fejge vorbei.
    Ich presste mich an den Baum. Ich betete, dass sie mich nicht sehen und meiner Mutter verraten würde, dass man mich weggejagt hatte, meine Mutter würde sich aufregen, und dann würde sie mich vor allen Kindern und dem Gruppenleiter blamieren und anschließend würde sie zu Hause stunden- oder vielleicht auch tagelang schweigen.
    Fejges Blick durchbohrte mich.
    »Ich bin zu spät aufgestanden«, stammelte ich.
    »Nu, nu, nu«, sagte sie und drohte mir mit dem Finger, wie man bösen Kindern droht.
    »Sterben soll sie«, verfluchte ich sie flüsternd und kehrte in mein Sommercamp zurück. Ich streichelte den Hund Schmulik, spähte wieder in die Höfe und in die Fenster der Häuser und träumte weiter vor mich hin.
     
    Heute wird mein Vater mit mir einen Ausflug in den Lunapark machen. Das ist das Programm für heute, hatte ich mir überlegt. Dann wartete ich auf ihn. Ihm zu Ehren sang ich vor mich hin: »Mein Papa, komm zum Lunapark, wir reiten auf dem weißen Pferd   …« Weil er noch nicht kam, sang ich für ihn noch ein anderes Lied: »Mein Vater hat ’ne Leiter, hoch bis zum Himmelszelt, mein Vater ist der beste, der beste von der Welt   …«
    Gegen Abend, um die Zeit, in der Dorit mit dem Autobus zurückkommen sollte, tauchte Itta Rosenfeld an der Haltestelle auf. Wieder presste ich mich an den Baum, verschmolz mit dem

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