Kinder der Nacht
Kapitel 1
Wir flogen nach Bukarest, als die Schießereien gerade aufgehört hatten, und landeten am 29. Dezember 1989 kurz nach Mitternacht auf dem Flughafen Otopeni. Als halb offizielle internationale Gutachtergruppe wurden wir sechs an meinem Lear-Jet in Empfang genommen, durch das konfuse Durcheinander eskortiert, das seit der Revolution in Rumänien als Zoll gilt, und dann für die neun Meilen lange Fahrt zur Stadt in einen VIP-Bus des Nationalen Tourismusbüros verfrachtet. Sie hatten für mich einen Rollstuhl zum Einstieg des Flugzeugs gebracht, aber ich winkte ab und ging zu Fuß zum Bus. Es fiel mir nicht leicht.
Donna Wexler, unsere Kontaktperson von der amerikanischen Botschaft, deutete auf zwei Einschußlöcher an der Wand, wo der Bus geparkt hatte, aber Dr. Aimslea zeigte es drastischer, indem er einfach zum Fenster hinausdeutete, als wir auf der beleuchteten Ringstraße fuhren, die das Flughafengebäude mit der Hauptstraße verband.
Panzer sowjetischer Bauart, deren lange Geschützrohre auf die Zufahrt zum Flughafen gerichtet waren, standen entlang der Hauptstraße, wo im Normalfall Taxis warten würden. Mit Sandsäcken verbarrikadierte Geschützstellungen säumten die Straße und die Dächer des Flughafens, und die Natriumdampflampen warfen einen gelben Schein auf Helme und Gewehre der wachhabenden Soldaten, während sie gleichzeitig deren Gesichter in tiefe Schatten tauchten. Andere Männer, manche in den regulären Armeeuniformen, andere in der Lumpenkleidung der revolutionären Miliz, lagen schlafend neben den Panzern. Einen Augenblick lang entstand die Illusion, daß Leichen gefallener Rumänen die Gehwege bedeckten, und ich hielt den Atem an, bis ich sah, wie sich eine der Gestalten regte und eine andere sich eine Zigarette anzündete.
»Sie haben letzte Woche mehrere Gegenangriffe loyaler Militärs und der Streitkräfte der Securitate abgewehrt«, flüsterte Donna Wexler. Ihr Tonfall deutete an, daß das ein peinliches Thema war - wie Sex.
Radu Fortuna, der kleine Mann, der uns am Flughafen hastig als Führer und Kontaktmann zur Übergangsregierung vorgestellt worden war, drehte sich auf seinem Sitz um und grinste breit, als wären ihm weder Sex noch Politik peinlich. »Sie töten viele Securitate«, sagte er laut, und dabei wurde sein Grinsen noch breiter. »Dreimal haben Ceauşescus Leute versucht, den Flughafen zu erobern ... dreimal sind sie getötet worden.«
Donna Wexler nickte und lächelte, sie fühlte sich offensichtlich bei dem Gesprächsthema nicht wohl, aber Dr. Aimslea beugte sich über den Mittelgang. Sekunden bevor wir ins Dunkel der verlassenen Straßen eintauchten, glänzte das Licht der letzten Natriumdampflampe auf seinem kahlen Kopf. »Also ist Ceauşescus Herrschaft wirklich vorbei?« wandte er sich an Fortuna.
Ich konnte nur die Andeutung eines Funkelns von Grinsen des Rumänen in der plötzlichen Dunkelheit sehen. »Ceauşescu ist vorbei, ja, ja«, sagte er. »Sie haben ihn und seine Mistkuh von Frau in Tîrgovişte festgenommen, wissen Sie ... haben, wie sagt man, Verhandlung geführt.« Radu Fortuna lachte wieder, was sich kindlich und grausam zugleich anhörte. Ich merkte, wie ich in der Dunkelheit ein wenig erschauerte. Der Bus war nicht geheizt.
»Sie haben eine Verhandlung«, fuhr Fortuna fort, »und der Staatsanwalt sagt: ›Seid ihr beiden verrückt?‹ Sehen Sie, wären Ceauşescu und Mrs. Ceauşescu verrückt gewesen, dann hätte die Armee sie vielleicht einfach nur in ein Irrenhaus geschickt und hundert Jahre eingesperrt, wie unsere russischen Freunde das machen. Sie verstehen? Aber Ceauşescu sagt: ›Was? Was? Verrückt ... Wie können Sie es wagen! Das ist eine obszöne Provokation!‹ Und seine Frau sagt: ›Wie können Sie so etwas zur Mutter der Nation sagen?‹ Also antwortet der Staatsanwalt: ›Okay, ihr seid beide nicht verrückt. Habt es selbst gesagt.‹ Dann ziehen die Soldaten Strohhalme, weil es so viele sind, die es machen wollen. Dann führen die Glücklichen die Ceauşescus auf den Hof und schießen ihnen viele Kugeln in die Köpfe.« Fortuna kicherte belustigt, als erinnere er sich an seine Lieblingsanekdote. »Ja, Regime ist vorbei«, sagte er zu Dr. Aimslea. »Ein paar Tausend Securitate, die wissen vielleicht noch nicht und erschießen immer noch Leute, aber das wird bald vorbei sein. Größeres Problem ist, was sollen wir mit einem von drei Bürgern anfangen, die für alte Regierung gespitzelt haben, hm?«
Fortuna kicherte
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