Das Schwert in Der Stille
Haus war weg.
Ich ging näher. Flammen züngelten immer noch und leckten an den geschwärzten Balken. Von meiner Mutter oder meinen Schwestern war nichts zu sehen. Ich wollte rufen, aber meine Zunge war plötzlich zu groß für meinen Mund, und der Rauch nahm mir den Atem und ließ meine Augen tränen. Das ganze Dorf brannte. Aber wo waren alle?
Dann hörte ich die Schreie.
Sie kamen aus der Richtung des Schreins, um den sich die meisten Häuser drängten. Sie klangen wie das Schmerzgeheul eines Hundes, nur dass der Hund menschliche Worte sprechen, sie unter Höllenqualen brüllen konnte. Ich glaubte die Gebete der Verborgenen zu erkennen, und im Nacken und auf den Armen standen mir alle Haare zu Berge. Wie ein Geist glitt ich zwischen den brennenden Häusern auf die Schreie zu.
Das Dorf war verlassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wo alle hingegangen waren. Ich sagte mir, sie seien weggelaufen: Meine Mutter habe meine Schwestern in die Sicherheit des Waldes gebracht. Ich würde ihnen nachgehen und sie finden, sobald ich festgestellt hätte, wer schrie. Doch als ich aus der Gasse auf die Hauptstraße kam, sah ich zwei Männer am Boden liegen. Ein leichter Regen fiel und die Männer sahen überrascht aus, als hätten sie keine Ahnung, warum sie da im Regen lagen. Sie würden nie wieder aufstehen und es machte nichts, dass ihre Kleidung nass wurde.
Einer von ihnen war mein Stiefvater.
In diesem Moment veränderte sich die Welt für mich. Eine Art Nebel stieg vor meinen Augen auf, und als er sich auflöste, schien nichts mehr wirklich. Ich hatte das Gefühl, in die andere Welt hinübergegangen zu sein, die neben unserer eigenen liegt und die wir in Träumen besuchen. Mein Stiefvater trug seine besten Sachen. Das indigoblaue Tuch war dunkel vom Regen und vom Blut. Es tat mir Leid, dass sie ruiniert waren: Er war so stolz darauf gewesen.
Ich ging an den Leichen vorbei, durch die Tore und in den Schrein. Der Regen war kühl auf meinem Gesicht. Die Schreie hörten plötzlich auf.
Auf dem Gelände waren Männer, die ich nicht kannte. Sie sahen aus, als würden sie irgendein Ritual für ein Fest durchführen. Sie hatten Tücher um die Köpfe gebunden; ihre Jacken hatten sie ausgezogen, die Arme glänzten von Schweiß und Regen. Sie keuchten und ächzten und fletschten die weißen Zähne, als wäre Töten eine ebenso harte Arbeit wie das Einbringen der Reisernte.
Wasser rieselte aus dem Brunnen, wo man sich Hände und Mund wusch, um sich beim Eintritt in den Schrein zu reinigen. Früher, als die Welt normal gewesen war, musste jemand Weihrauch im großen Kessel angezündet haben. Die letzten Schwaden wehten über den Hof und überdeckten den bitteren Geruch von Blut und Tod.
Der Mann, der zerrissen worden war, lag auf den nassen Steinen. Die Gesichtszüge des abgetrennten Kopfes waren gerade noch zu erkennen. Es war Isao, der Anführer der Verborgenen. Sein Mund war noch offen, in einer letzten Schmerzverzerrung erstarrt.
Die Mörder hatten ihre Jacken ordentlich neben einer Säule gestapelt. Ich sah deutlich das Wappen mit dem dreifachen Eichenblatt. Das waren Tohanmänner aus der Clanhauptstadt Inuyama. Ich erinnerte mich an einen Reisenden, der am Ende des siebten Monats durch das Dorf gekommen war. Er hatte die Nacht in unserem Haus verbracht, und als meine Mutter vor der Mahlzeit betete, hatte er versucht, sie zum Schweigen zu bringen. »Weißt du nicht, dass die Tohan die Verborgenen hassen und planen, uns anzugreifen? Lord Iida hat geschworen, uns auszulöschen«, flüsterte er. Meine Eltern waren am nächsten Tag zu Isao gegangen und hatten es ihm erzählt, aber niemand hatte ihnen geglaubt. Wir waren weit von der Hauptstadt entfernt und die Machtkämpfe der Clans hatten uns nie interessiert. In unserem Dorf lebten die Verborgenen neben allen anderen, sie sahen genauso aus, verhielten sich genauso bis auf die Gebete. Warum sollte jemand uns etwas antun wollen? Es schien undenkbar.
Und so schien es mir immer noch, als ich wie angewurzelt am Brunnen stand. Das Wasser rieselte immer weiter und weiter, und ich wollte damit das Blut von Isaos Gesicht waschen und sanft seinen Mund schließen, aber ich konnte mich nicht rühren. Ich wusste, dass die Männer des Tohanclans sich jeden Augenblick umdrehen und mich sehen könnten, und dann würden sie mich in Stücke reißen. Sie würden weder Mitleid noch Gnade kennen. Sie waren bereits vom Tod besudelt, nachdem sie einen Mann innerhalb des Schreins getötet
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