Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
fortwährend unterhaltene Station existiert. Während der Tourismus in den nahen Orbit floriert, ist das Passagieraufkommen zum Mond noch begrenzt. Walter beschreibt anschaulich Phasen der Vorbereitung, des Ablaufs und des Aufenthalts; Höhepunkt ist das Erlebnis einer Sonnenfinsternis – von einer anderen Position im solaren System aus. Eine sympathische Technikutopie ganz im Geist der Sechzigerjahre – und eine Ausnahme in diesem Sammelband.
Wolfgang Neuhaus
JOE HALDEMAN
HERR DER ZEIT
(ACCIDENTAL TIME MACHINE)
Roman · Aus dem Amerikanischen von Alexander Kühnert · Mantikore Verlag, Frankfurt/M. 2012 · 292 Seiten · € 12,95
Joe Haldeman ist nicht irgendwer: Als Vietnam-Veteran und Assistenzprofessor am MIT weiß er, wovon er schreibt, wenn er etwa in »Forever War« von den Abgründen unserer Gesellschaft oder in »The Coming« von unserer Zukunft berichtet. Er bekam nicht von ungefähr sowohl den Hugo als auch den Nebula und den Locus Award. Und dass er auch Präsident der Science Fiction & Fantasy Writers of America war, zeigt, dass er mit allen klassischen Themen des Genres umgehen kann.
Aber ein Zeitreiseroman? Noch dazu in betont klassischem Setting? (Ein MIT-Forschungsassistent erfindet zufällig eine Kiste, die ihn mit in die Zukunft nimmt.) Kann das nach den vielen, mehr oder weniger guten Time-Travel-Storys der letzten Jahrzehnte gutgehen? Es kann.
Haldeman gibt gar nicht vor, eine schlüssige Erklärung für Zeitreisen oder eine vielversprechende technologische Basis dafür zu präsentieren. Gleich von Beginn weg wählt er die Settings und den Sprachduktus klassischer Abenteuer- und Mad-Scientist-Geschichten der 1950er-Jahre und lässt keine Zeit für lange Spekulationen: »Die Geschichte wäre ganz anders verlaufen, wenn Matts Vorgesetzter ihn beobachtet hätte, als die Maschine das erste Mal verschwand.« So wie unzählige andere SF-Stories beginnt »Herr der Zeit« mit einer unerwarteten technischen Entdeckung. »Erfindung« wäre schon zu viel gesagt, denn Protagonist Matt Fuller hat keine Ahnung, wie dieses von ihm zusammengebastelte Ding eigentlich funktioniert. Stattdessen versucht er mit der Versuch-und-Irrtum-Methode herauszufinden, warum diese aus herkömmlichen Elektronik-Komponenten gebaute Maschine (die eigentlich ein Schwingungskalibrator hätte werden sollen) für ein paar Sekunden verschwindet … und dann etwas entfernt wieder auftaucht. Die Neugier des Protagonisten überträgt sich augenblicklich auf den Leser (so liebe ich Science Fiction), und wir begleiten Matt atemlos bei weiteren Experimenten, bis er zur folgenschweren Erkenntnis gelangt: Er hat zufällig eine Zeitmaschine erfunden, und bei jedem Mal Drücken auf den Auslöseknopf bewegt sie sich rund vierzehnmal weiter in die Zukunft (beim ersten Mal 1,26 Sekunden, dann genau 15 Sekunden, und so weiter).
Glücklicherweise befinden wir uns, wie gesagt, in einem Roman, der an die technologische Neugier der Fünfzigerjahre erinnert, und so werden alle Bedenken von wegen Zeitparadoxa und Manipulation des Zeitpfeils flugs beiseitegewischt; stattdessen tut Matt, was wir alle gerne tun würden: Er probiert das Ding einfach aus (mit sich selbst als Testperson) und lässt sich überraschen, wo er landen wird. Dass dies – da sich in der Zwischenzeit ja die Erde weiterdreht – zu immer weiter östlich gelegenen Punkten auf der Landkarte führt, beschleunigt den Handlungsverlauf genauso wie die immer weiter in der Zukunft angesiedelten Ereignisse und Unwägbarkeiten (landet Matt beim nächsten Mal vor einem Auto oder in einem globalen Ozean?). Es wäre unfair, hier zu viel zu verraten, doch wir erleben Utopien genauso wie Dystopien, allerdings einen Schlag kleiner als bei H. G. Wells berühmter »Zeitmaschine«. Das jedoch genügt schon, um uns etwa ein verblüffendes Amerika der Zukunft vorzustellen, das von einem wiederauferstandenen Jesus zum Gottesstaat gemacht wurde (interessant, wie viele SF-Werke seit dem 11. September 2001 sich mit Religion und Gotteswahn auseinandersetzen). Und Matts Reise geht noch viel, viel weiter – immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, irgendwann einmal auch wieder zurück in seine eigene Vergangenheit reisen zu können. Haldeman hat sichtlich Spaß beim Erzählen und bleibt immer ganz nah an seinem Helden: mitfühlend, humanistisch geschult und stets kritisch gegenüber gesellschaftlich-politischen Entwicklungen. »Herr der Zeit« ist kein epochaler Roman und
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