Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser,
Boris Strugatzki, Jack Vance, Harry Harrison, Richard Mathe son, Iain Banks, Ray Harryhausen – in den vergangenen Monaten sind so viele für das Genre, aber auch für individuelle Lese biografien prägende Autoren und »Science-Fiction-Macher« gestorben, dass man den Eindruck bekommen konnte, dahin ter stecke ein sinistrer Plan. Aber so ist es nicht – insbesondere Science-Fiction-Leser wissen, dass in diesem Universum die leidenschaftslosen Kräfte des Zufalls wirken –, und es ist noch nicht einmal so, dass hier »eine Generation abtritt«, wie es Journalisten gerne formulieren. Natürlich: Schriftsteller wie Vance oder Matheson, beide vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, haben das, was wir heute als Science Fiction lesen, hören und schauen, mehr oder weniger erfunden, aber Banks war schon eine literarische Stimme jener Zeit, in der die Science Fiction bereits eine »Geschichte« hatte, in der »sense of wonder« und »suspension of disbelief« bereits mit dem ver woben waren, was diese beiden Effekte vorher ausgelöst hatte (und gerade Banks war ein wahrer Meister in dieser mit dem unzureichenden Wort »postmodern« belegten Disziplin).
Nicht alle dieser Verstorbenen können wir in der diesjährigen Ausgabe des SCIENCE FICTION JAHRES angemessen würdigen – wir werden auch noch das kommende Jahr dafür benötigen. Aber die eigentlich angemessene Würdigung eines Schriftstellers ist ja auch keine theoretische, sondern eine ganz konkrete: zum Bücherregal gehen, die alten Taschenbücher oder Hardcover herausziehen, es sich gemütlich machen und … träumen.
Haben wir gerade »Bücherregal« gesagt? Ist das nicht ein hoffnungsloser Anachronismus in Zeiten von Kindle, iPad & Co.? Das mag so sein, und die Science Fiction sollte die letzte sein, die sich gegen »Veränderungen« sträubt, beruht doch ihr ganzes generisches Konzept auf der Tatsache, dass sich immer alles verändert. Aber wie das Digitale diesen Moment, in dem wir ein Buch aufschlagen, uns der Geruch des Papiers in die Nase steigt und wir das ganze Abenteuer vor Augen haben, noch bevor es wirklich beginnt – wie es diesen Moment kopieren oder gar adäquat ersetzen will, das hat uns noch niemand gesagt. So werden die beiden Welten vermutlich bis auf Weiteres parallel existieren, und in beiden wird es – wie kann es anders sein? – nicht nur um Träume, sondern auch ums Geldverdienen gehen. Und sollten Sie dieses SCIENCE FICTION JAHR gerade auf einem Kindle oder einem iPad lesen, dann können Sie ganz beruhigt sein: Es entgeht Ihnen nichts. Außer dieser eine Moment …
Wir hoffen jedenfalls, dass Ihnen das SCIENCE FICTION JAHR 2013 viel Freude macht – trotz all der Verluste – und in welcher Form auch immer.
Ihr Sascha Mamczak, Sebastian Pirling & Wolfgang Jeschke
FEATURE
Erik Simon
DAS ENDE EINER EPOCHE
Zum Tod von Boris Strugatzki, der zweiten Hälfte eines unteilbaren Ganzen, das als »Die Brüder Strugatzki« Literaturgeschichte schrieb
1.
Die Wirklichkeit ist mitunter fantastischer als die Science Fiction; die SF kann die Paradoxe unserer Welt nur ins Bild setzen, sie veranschaulichen und in besonderen Glücksfällen durch die Logik hinter dem Paradox etwas über die wirkliche Welt erhellen. Ein Paradox manifestierte sich auch, als am 19. November 2012 Boris Natanowitsch Strugatzki starb: Der Schriftsteller »Arkadi und Boris Strugatzki« hatte da schon seit einundzwanzig Jahren aufgehört zu existieren. Boris Strugatzki selbst hat das nach dem Tode seines Bruders Arkadi immer wieder betont, und auch im Bewusstsein der Leser sind die Strugatzkis nicht als irgendein Team von Koautoren, sondern als untrennbare Einheit verankert. Um das zu verdeutlichen, hatten die Strugatzkis vereinbart, Science-Fiction-Texte, die einer von ihnen allein schrieb, unter Pseudonym zu veröffentlichen; so erschienen drei Arbeiten Arkadis unter »S. Jaroslawzew«, und Boris firmierte mit seinen beiden nach Arkadis Tod verfassten Romanen als »S. Witizki« (die deutschen Verlage haben sich nicht durchweg daran gehalten, die russischen bis heute, obwohl die wahre Identität längst kein Geheimnis mehr ist). Das war nicht einfach eine juristische Absprache; während man beispielsweise ziemlich genau weiß, wer welchen Lennon/McCartney-Song verfasst hat, lassen sich außer bei einigen frühen Werken keine einzelnen Passagen im gemeinsamen Œuvre der Strugatzkis einem der beiden zuordnen – nicht einmal die Autoren
Weitere Kostenlose Bücher