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Das Skript

Das Skript

Titel: Das Skript Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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Prolog
    Sie war nackt, und sie fror erbärmlich.
    Ihr Körper versuchte in vibrierenden Schüben die Kälte abzuschütteln, die sich wie ein Film auf ihre Haut gelegt hatte. Ihr Atem prallte von der Wand dicht vor ihr ab und schlug ihr, angereichert mit Partikeln aus Moder und Fäulnis, zurück ins Gesicht. In kurzen Abständen drangen wimmernde Laute aus ihrem Mund. Sie hatte Angst. In einer Intensität, die ihr Verstand kaum zu bewältigen vermochte.
    Um sie herum war es vollkommen dunkel, und in der absoluten Schwärze hatte es einige Zeit gedauert, bis sie sich über die Position ihres Körpers im Klaren war. Mittlerweile hatte sie begriffen, dass sie aufrecht an einer Wand stand. Wenn sie den Kopf ein kleines Stück senkte, um den schmerzenden Nacken zu entlasten, berührte ihre Stirn den kalten Stein. Ihre Arme waren mit Seilen um die Handgelenke wie ein V straff nach oben gebunden, von der Hüfte abwärts wurde sie durch etwas, das in Höhe der Taille über ihren Rücken verlief, fest gegen die Wand gepresst. Jede kleinste Bewegung schmerzte. Ihre Oberschenkel und Waden brannten. Die dünne Schlinge, die eng um ihren Hals lag, musste aus Draht sein. Sie zog sich sofort zu, wenn sie den Oberkörper auch nur minimal bewegte.
    Ihre Gedanken formten das gleiche Wort wie schon hundertmal zuvor in den letzten Stunden:
Mama.
Sie konnte sich an keinen Tag, an keine einzige Stunde erinnern, in der sie sich so sehr nach der Geborgenheit ihrer Mutter gesehnt hatte wie in diesem Moment. Nicht einmal in ihrer Kindheit.
    Als hinter ihr eine Tür geöffnet wurde, als die Schwärze des Raumes von flackerndem, gelblichem Licht durchbrochen wurde und sie die Anwesenheit eines menschlichen Wesens spürte, schrie sie auf.
    Schritte kamen langsam näher. Schnaubend ausgestoßener Atem strich über ihren Nacken. Lange, viel zu lange.
    »Bitte …«, flehte sie. »Bitte, tun Sie mir nicht weh. Ich … ich mache alles, was Sie möchten. Ich …« Ihre Stimme wurde von Tränen erstickt. »Bitte …«
    Sie bekam keine Antwort, aber das Schnauben entfernte sich ein wenig. Dann waren rechts von ihr kratzende Geräusche zu hören, und die Schlinge um ihren Hals zog sich weiter zu. Als ihr Rücken sich schmerzhaft durchbog, stieß sie einen gurgelnden Laut aus. Nun konnte sie sich keinen Zentimeter mehr bewegen, ohne sich selbst zu strangulieren. »Bitte …« Sie stöhnte, sie weinte, sie verlor vor Angst beinahe den Verstand.
    Etwas Dünnes, Kaltes strich über ihr Schulterblatt. Langsam, von links nach rechts und wieder zurück. Sie hielt die Luft an, wurde beherrscht vom dröhnenden Schlag ihres Herzens.
    Dann explodierte der Schmerz.

1
    23 . April
    Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand betrat Nina ihren kleinen Balkon und blinzelte gegen die Morgensonne, die sich schon zu drei viertel über den First des gegenüberliegenden Hauses geschoben hatte. Nach den langen Wintermonaten genoss sie das Gefühl der ersten zaghaften Wärme auf ihrer Haut so sehr, dass sie einen Seufzer ausstieß. Welch ein perfekter Start für diesen Tag. In einer Dreiviertelstunde würde Kerstin sie zu einer Shoppingtour in der Europa-Passage abholen. Am späten Nachmittag dann würde sie zu Dirk fahren und ihm bei den Vorbereitungen zu seiner Geburtstagsfeier helfen. 25 war er drei Tage zuvor geworden, fast genau zwei Jahre älter als sie selbst.
    Nina nippte am Kaffee und überlegte, ob sie Dirk am Samstag schon um Viertel vor neun anrufen und ihm einen guten Morgen wünschen konnte. An den Tagen, an denen er nicht zur Uni musste, konnte er ohne Probleme bis mittags im Bett liegen bleiben. Manchmal, wenn sie bei ihm übernachtete, zog er sie auf die Matratze zurück, wenn sie aufstehen wollte. Sie schmunzelte. Ein paar Vorlesungen hatte sie schon verpasst.
    Nina beschloss, dass der Tag viel zu schön war, um ihn halb zu verschlafen, und ging hinein. Der Telefonhörer lag auf dem weißen Ikea-Couchtisch. Sie wählte Dirks Nummer und legte sich mit schräg angezogenen Beinen auf die Zweiercouch, wo sie geduldig dem monotonen Tuten lauschte. Dabei stellte sie sich vor, wie Dirk sich das Kissen auf die Ohren presste, um weiterschlafen zu können. Umso überraschter war sie, als er sich mit einem sehr ausgeschlafen klingenden »Dirk Schäfer« meldete. »Guten Morgen«, sagte sie lächelnd, »du klingst ja richtig fit für diese Uhrzeit. Ich sollte dich wohl öfter abends alleine einschlafen lassen.«
    »Auf keinen Fall. Ich bin nur so früh

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