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Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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gewaltigen Umfang seines Halses mit geblähten Muskelsträngen und die gebändigte Wucht seiner ruhenden Fäuste auf dem Tisch. Seine lange Haarsträhne verschob sich und ließ die verkrüppelten Reste seiner Ohrmuschel frei, ein rötliches Stückchen Knorpel mit verkümmerten winzigen Windungen.
    Theodor feilschte erbittert, ein Drittel wollte er hergeben, aber Klitsche rückte den Stuhl mit einem plötzlichen Entschluß hinter sich, so, als wollte er sich erheben. Er stand nicht auf, sondern blieb, auf dem weit zurückgeschobenen Stuhl, den Oberkörper vorgeneigt, die starken Fäuste an der Tischkante, sitzen, ein geducktes Tier; und Theodor gab ihm die Hälfte. Dann ging er durch die Straßen, machte vor den Schaufenstern halt und kaufte ein Paar Stiefel. Er kam sich gewachsen vor, als hätte er neuen erhabenen Boden unter den Füßen.
    Am späten Nachmittag, die Vögel zwitscherten ergreifend und abendlich, sprach er ein weißgekleidetes Mädchen an. Im Laufe des Abends besuchte er einen Tanzpalast, wurde eifersüchtig, weil das Mädchen mit einem Herrn vom Nachbartisch dreimal hintereinander tanzte, trank sauren Sekt. Das Mädchen – sie war nicht so eine – verlangte nach einem besseren Hotel, zwei Zimmer mußte Theodor mieten. Eine Viertelstunde mußte er sie allein lassen, dann klopfte er an ihre Tür, horchte, klopfte wieder und öffnete. Das Mädchen war verschwunden.
    Er hatte mehr Glück bei jungen Frauen, die, ohne Hut, in den einfachen Blusen und fadenscheinigen Jäckchen, sich mit einem Kinobesuch begnügten. Er achtete darauf, daß aus den kleinen Zerstreuungen keine bindende Freundschaft wurde, er hielt grundsätzlich kein vereinbartes Rendezvous.
    Er war mit sich zufrieden und überzeugt, daß Willenskraft und Begabung ihm diese kurzen Fortschritte in kurzer Zeit ermöglicht hatten.
    Er glaubte, die einzige ihm angemessene Beschäftigung gefunden zu haben. Er wurde stolz auf seine Spionierfähigkeit und nannte sie eine diplomatische. Sein Interesse für Kriminalistik steigerte sich. Er saß stundenlang im Kino. Er las Kriminalromane.
    Noch lebte das Porträt in ihm, das der Maler Klaften gemalt hatte. Er versuchte, es Lügen zu strafen. Er wendete Mittel an, um seinen Schnurrbart buschiger zu machen. Er kleidete sich neu, jetzt trug er einen hellbraunen Anzug, einen sanft grünlich karierten und ein kleines, goldenes Hakenkreuz in einer quergestreiften, seidenen Krawatte.
    Er kaufte Waffen aller Art, Jagdmesser und Dolche, einen ledernen Totschläger, eine Pistole, einen Gummiknüppel. Er ging, wie Detektiv Klitsche, niemals ohne Revolver, er sah in jedem Passanten einen kommunistischen Spitzel. Daß er nicht verfolgt wurde, wußte er. Aber er vergaß es, besonders wenn er ein Kriminaldrama gesehen hatte. Es schmeichelte ihm, verfolgt zu werden, und also glaubte er daran.
    Er, dem jede Stunde schrecklich erschien, nur weil sie neu gewesen war, der das Kommende gefürchtet, das Bleibende geliebt hatte, er täuschte sich kühne Unmöglichkeiten vor und erwartete Abenteuer auf jedem Schritt. Er war gerüstet.
    Er wurde ungläubig. Hinter jeder klaren Tatsache sah er Schleier, die Geheimnis und wahren Sachverhalt bargen. Er las politisch-philosophische Schriften, die Trebitsch verfaßt hatte. Flugschriften, in denen Zusammenhänge zwischen Sozialismus, Juden, Franzosen und Russen aufgedeckt wurden. Diese Lektüren befruchteten Theodors Phantasie. Er glaubte nicht nur, was er gelesen hatte, er kombinierte aus dem gelesenen Material neue Tatsachen und entwickelte sie im »Nationalen Beobachter«. Seitdem er gedruckt wurde, steigerte sich seine Sicherheit, und wenn er die Feder in die Hand nahm, zweifelte er nicht mehr an der Richtigkeit dessen, was er vorsichtig anzudeuten sich vorgenommen hatte. Las er noch einmal das Manuskript, war er sicher und strich schwächende Worte, jedes »vielleicht« und jedes »wahrscheinlich«. Er schrieb die Aufsätze eines Mannes, der hinter die Kulissen geblickt hat.
    Er wußte, daß der »Nationale Beobachter« in den Lesesälen der »Germania« auflag und daß Tiedemann und die anderen ihn lasen. Dieser »Nationale Beobachter« hing in den Kiosken der Untergrundbahn, er hing an jeder Straßenecke und an jedem Kiosk, und an jeder Ecke schrie der weiß-rote Umschlag der Zeitschrift den Namen Theodor Lohse in die Welt.
    Er neidete nicht mehr den Efrussis die weißschimmernden Häuser hinter grünen Rasen, die silbernen Gitter und marmornen Treppen. Er dachte an die

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