Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
Prolog – Das Exil
Gebirge. Das Jahr
1990.
Der
Himmel verdunkelte sich immer stärker und nahm mit jeder Sekunde an
Bedrohlichkeit zu.
Nathael
wusste, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb.
Die
Kämpfe dauerten schon seit Wochen an, und sie alle waren längst an den Grenzen
ihrer Kräfte angelangt. Aber die Treue und die Liebe zu ihrer Königin verlieh
allen Kriegern eine immense Ausdauer und Standhaftigkeit, die sie in dieser
schweren Stunde nicht kapitulieren ließ.
So
sehr Nathael auch auf seine Krieger vertraute, ihre Stärke und ihren Mut
respektierte, verstand er doch in seinem Inneren, dass die gegnerische Macht
ihnen in einer Sache überlegen war.
Nicht
in der Kraft oder Moral.
Nein!
Sondern
in der Überzahl.
In
den 82 Jahren, in denen er bereits der Königsfamilie als Kommandant der
königlichen Leibgarde diente, hatte er niemals solche Versagensängste verspürt.
Alle seine Gedanken konzentrierten sich nur auf die eine Frage: „Wie retten wir
die Königin?“ Und genau diese Frage ließ die ersten Sorgenfalten auf seiner
noch recht jungen, glatten und makellosen Stirn entstehen – wie tiefe
Narben.
Um
etwas Kraft zu schöpfen, schloss er die Augen und erinnerte sich für einen
kurzen Moment an die Zeit vor dem großen Angriff. Schon seit Beginn seiner
Jugend, als er noch als ein Kind durch die Straßen rannte, wünschte er sich
nichts sehnlicher, als eines Tages einer von den mächtigen Männern zu sein, die
die Ehre besaßen, die silberne Rüstung der Leibgarde tragen zu dürfen. Oft
beobachtete er sie bei ihren täglichen Übungseinheiten oder bei den
Beobachtungsmärschen durch das Königreich. Dabei glänzten ihre blank polierten
Harnische wie Diamanten in der Sonne und spiegelten diese wider.
Dieser
Glanz hatte für Nathael etwas Magisches an sich und wirkte fast verzaubernd auf
ihn.
Er
dachte auch an den wohl wichtigsten Tag seines Lebens, an dem er endlich die
Rüstung der königlichen Leibgarde anlegen durfte, und an seinen Schwur: „Ich
werde die Königsfamilie bis zu meinem letzten Atemzug verteidigen, auch wenn dies
bedeutet, mein Leben für diese ehrenvolle Aufgabe zu opfern.“ Es waren keine
leeren Worte, die er bei seiner Vereidigung ausgesprochen hatte, denn die
Gefahr war immer präsent, das Leben im Kampf zu verlieren.
Der
Konflikt zwischen den Schattenkriegern bestand schon seit Anbeginn der
Zeitrechnung. Nur Legenden zeugten davon, wie es zu der Auseinandersetzung gekommen
war, doch den eigentlichen Grund für den enormen Hass, den die Schattenkrieger
gegen sein Volk hegten, konnte keiner nennen.
Dieser
Gedankenstoß riss ihn aus seiner Traumwelt wieder in die Wirklichkeit zurück.
Er
öffnete die Lider und blickte nun genau in das Gesicht der Königin. Einst
strahlten ihre hellblauen Augen wie der morgendliche Tau auf den Gräsern und auf
den Blättern der Bäume und brachten jeden jungen Mann um den Verstand, doch in
diesem Augenblick strahlten sie nur Furcht, Sorge und Hilflosigkeit aus.
Nathael
gab sich die Schuld daran, dass die Königin solches Unheil erleiden musste –
obwohl er ganz genau wusste, dass er absolut nichts dafür konnte.
Sie
befanden sich an dem höchsten Punkt der Stadt, im Palast der Königsfamilie, der
einst von den erfahrensten Steinmetzen und Bildhauern des Reiches erbaut worden
war, wobei der Begriff erbaut dafür überhaupt nicht zutreffend war. Der Palast wurde
gemeißelt – aus einem einzigen Stück Granit. Die Meister im Umgang mit dem
Stein machten ihrem Namen alle Ehre. Sie kannten sich mit diesem
anspruchsvollen Material gut aus und wussten, wie man daraus ein Kunstwerk
errichtete, das einer Königsfamilie würdig war.
Die
geschulten Augen erkannten den genauen Texturverlauf des Steins, man hätte
sogar denken können, dass der Granit selbst ihre Fertigkeiten respektierte,
ihnen behilflich sein wollte und die Richtung zeigte, in der das Schleifen
einfacher verlief.
Nach
etwa zwanzig Jahren harter Arbeit, als die einst noch so jungen Steinmetze
schon fast ihr Greisenalter erreicht hatten, wurde das glorreiche Meisterwerk
vollendet. Steinmetze gehörten einer niederen Rasse an und ihnen war die
Langlebigkeit nicht vergönnt, die den Mitgliedern der Leibgarde zu eigen war.
Umso glücklicher konnten sie sich schätzen, wenn sie in ihrem kurzen Leben die
ehrenvolle Aufgabe erhielten, ihre Fertigkeiten bei der Errichtung eines solch
wichtigen Bauwerkes unter Beweis zu stellen. Der Palast befand sich an der
Spitze des Felsens, aus
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