Das Stonehenge - Ritual
Mann auf ihre Schultern.
»Wir danken all euch großen Göttern, die ihr uns behütet und segnet. Euch und den Gebräuchen der Alten zu Ehren bringen wir nun dieses Opfer dar.«
Die Träger setzen sich in Bewegung, um das letzte Stück ihres Weges zurückzulegen, hinaus durch das riesige Steintor bis hin zur Opferstelle, die auf der Achse des Solstitiums, der Sonnenwende, liegt.
Der Opferstein.
Sie legen den jungen Mann auf den langen grauen Steinblock. Der Henge-Meister neigt das Haupt und senkt die gefalteten Hände, um damit die Stirn des Opfers zu berühren. Er hat keine Angst davor, in die vor Entsetzen geweiteten blauen Augen zu blicken, die zu ihm emporstarren. Er hat sich gewappnet und jedes Mitgefühl aus seinem Herzen verbannt – genauso gnadenlos, wie ein König einen Verräter in die Verbannung schicken würde.
Langsam lässt er die gefalteten Hände um das Gesicht des Mannes kreisen, während er weiter die Worte des Rituals spricht. »Im Namen unserer Väter, unserer Mütter, unserer Beschützer und Mentoren sprechen wir dich los von deinen irdischen Sünden, und durch dein tödliches Opfer reinigen wir deinen Geist und beschleunigen deine Reise zum ewigen Leben im Paradies.«
Erst jetzt löst der Henge-Meister seine Handflächen wieder voneinander und breitet die Arme weit aus. Die eine Hälfte seines Körpers wirkt im Mondlicht knochenbleich, die andere im Schein des Feuers blutrot. Er steht im Einklang mit der Mondphase. Vor den großen Steinen zeichnet sich seine Silhouette kreuzförmig ab.
In seine ausgestreckten Hände legen die Träger nun die heiligen Werkzeuge. Der Henge-Meister nimmt sie entgegen und schlingt die Finger um glatte Holzgriffe, die Jahrhunderte zuvor geschnitzt wurden.
Die erste Axt aus Flintstein trifft den Kopf des Opfers.
Dann die zweite.
Nun wieder die erste.
Blut regnet auf den Boden, bis Haut und Knochen wie eine Eierschale nachgeben. Mit dem Tod des Opfers kommt von der Menge lautes Gebrüll – ein triumphierender Aufschrei, während der Meister zurücktritt und dabei die Arme weit ausbreitet, damit sie das Opferblut auf seinem Gewand und seiner Haut sehen können.
»So wie du Blut vergossen und Knochen zerbrochen hast, um zu unserem Schutz diese göttliche Pforte zu schaffen, so vergießen auch wir unser Blut und brechen unsere Knochen für dich.«
Die Jünger treten vor. Einer nach dem anderen tauchen sie die Finger in das Blut des Opfers und zeichnen damit ihre Stirn. Dann kehren sie zurück in den Hauptkreis und küssen die Trilithen.
Gesegnet und mit Blut gezeichnet, verbeugen sie sich, ehe sie lautlos verschwinden, hinaus in die Weite der dunklen Felder von Wiltshire.
2
Stunden später
Tollard Royal, Cranborne Chase, Salisbury
Professor Nathaniel Chase sitzt im eichenvertäfelten Arbeitszimmer seines Landhauses aus dem siebzehnten Jahrhundert am Schreibtisch und sieht durch die bleiverglasten Fenster zu, wie das morgendliche Dämmerlicht einem Sommersonnenaufgang weicht. Dieses tägliche Ringen lässt er sich nie entgegen.
Ein farbenprächtiges Pfauenmännchen stolziert über den Rasen, hervorgelockt durch das erste Licht auf dem taunassen Gras. Hinter ihm folgen unauffällig gefärbte Weibchen, die erst einmal so tun, als wären sie gar nicht an ihm interessiert, und stattdessen nach fettgefüllten Kokosnussschalen picken, die Chases Gärtner für sie aufgehängt hat.
Stolz spreizt das Männchen seine Flügel zu einem Umhang aus schillerndem Kupfer. Kopf, Hals und Ohren des Vogels leuchten in einem tropischen Grün, Kehle und Wangen in einem exotischen, glänzenden Violett. Ein klar abgegrenztes weißes Band um den Hals verleiht ihm ein priesterliches Aussehen, während sein Gesicht und sein Kehllappen tiefrot gefärbt sind. Das Tier ist melanistisch – irgendeine Mutation des gewöhnlichen Pfaus. Bei genauerem Hinsehen kommt dem Professor der Verdacht, dass ein paar Generationen zuvor auch ein, zwei Exemplare des seltenen grünen Pfaus im Spiel gewesen sein müssen.
Chase ist ein erfolgreicher Mann – erfolgreicher, als es sich die meisten je zu erträumen wagen. Als brillanter Akademiker genießt er den Ruf, einer der klügsten Köpfe der Universität von Cambridge zu sein. Seine Bücher über Kunst und Archäologie finden weltweit großen Absatz, und zu den Käufern zählen längst nicht nur jene, die solche Bücher normalerweise zu Studienzwecken erstehen. Sein riesiges Vermögen und sein luxuriöser, eleganter Lebensstil gründen
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