Das Tagebuch der Eleanor Druse
VORWORT
BEGLEITSCHREIBEN AN STEPHEN KING
SEHR GEEHRTER MR. KING,
ich schreibe Ihnen, weil ich aus Ihren Büchern weiß, dass Sie aufrichtig an das Reich der Geister glauben und wie ich auch schon eine Nahtod-Erfahrung hatten. Außerdem stammen wir beide aus Maine.
Mein Name ist Eleanor Sarah Druse. Meine Freunde nennen mich Sally. Ich bin fünfundsiebzig Jahre alt. Geboren wurde ich am 2. November 1928, an Allerseelen, im alten Kingdom Hospital in Lewiston, Maine, wo ich auch die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Obwohl ich eine erfahrene experimentelle Psychologin und emeritierte Professorin für Noetik und Esoterische Psychologie am Faust College in Lewiston bin, mangelt es meinen Aufzeichnungen an wissenschaftlicher Autorität und Objektivität, die sie unter kontrollierten Rahmenbedingungen hätten. Die von mir durchgeführten Untersuchungen der rätselhaften und erschreckenden Vorgänge, deren Zeugin ich im Kingdom Hospital wurde, können noch nicht wissenschaftlich belegt werden, da ich sie gezwungenermaßen vor Ort unter bisweilen chaotischen Umständen durchführen musste. Trotzdem habe ich mein Möglichstes getan, um die sich überstürzenden Ereignisse zu protokollieren.
Obwohl ich nicht über die nötigen Mitarbeiter und Instrumente für gründlichere und aussagekräftigere Nachforschungen verfüge, habe ich meiner Meinung nach schon jetzt stichhaltige Beweise dafür, dass es im Kingdom Hospital etwas gibt, das wir esoterische Psychologen eine wahrnehmbare Wesenheit nennen. Dabei handelt es sich vermutlich um den ruhelosen Geist eines Kindes, der mit mir wiederholt in Kontakt getreten ist. Aus noch unbekannten Gründen ist er nicht in der Lage, die Sphäre zu verlassen, die der berühmte schwedische Mystiker Emanuel Swedenborg als den ersten Zustand nach dem Tod bezeichnet hat. Ich will herausfinden, wer dieses arme Kind zu Lebzeiten war, was ihm zugestoßen ist und wie ich ihm helfen kann, seinen ewigen Frieden zu finden. Allerdings habe ich mächtige Widersacher, die sich meinen Bemühungen entgegenstellen, um persönliche Interessen zu schützen.
Auch wenn mir die finanziellen Mittel für die notwendigen wissenschaftlichen Untersuchungen fehlen, habe ich mich bemüht, meinen Bericht so objektiv und genau abzufassen, wie es auch ein sorgfältig recherchierender und verantwortungsbewusster Journalist getan hätte. Wo es angebracht erschien, habe ich auch meine eigenen subjektiven Wahrnehmungen geschildert. Wie Sie sehen werden, hat sich das Mädchen bei verschiedenen Gelegenheiten ausschließlich mir offenbart. Allerdings bin ich mir noch nicht ganz im Klaren darüber, ob das Kind mich gezielt als Medium und spirituelles Gefäß auserwählt hat, um auf diese Weise sein Leid zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht ist es ja auch nur Zufall, dass ich, die ich über die Gabe des Hellhörens verfüge, als Einzige seine Klage hören kann.
Bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihnen von Hand geschriebene Notizhefte schicke, aber ich habe keine Sekretärin oder Assistentin, und unter dem Druck der Ereignisse war ich oft zu sofortiger Niederschrift gezwungen. Wenn diese Seiten Ihr Interesse finden, Mr. King, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihre Sekretärin oder Schreibkraft – falls Sie über eine solche verfügen – diese Aufzeichnungen abtippen ließen. Ich hege die Hoffnung, das maschinengeschriebene Manuskript der National Association for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal sowie weiteren Organisationen vorlegen zu können, die sich der intensiven Untersuchung außersinnlicher Wahrnehmung, Parapsychologie, Präkognition und Psychokinese widmen.
Bitte lesen Sie diese Seiten wie das Vorwort zu einer umfassenden wissenschaftlichen Studie, die es sicher eines Tages geben wird. Eine solche Studie wird dann auch eine abschließende Beurteilung der außergewöhnlichen Vorgänge enthalten, die im Dezember des Jahres 2002 im Kingdom Hospital einsetzten und bis heute andauern.
Mr. King, ich bin jetzt fünfundsiebzig Jahre alt und immer noch recht rüstig und geistig hellwach. Doch ich werde das beängstigende Gefühl nicht los, dass meine Versuche, der geheimnisvollen Heimatlosigkeit des Mädchens im Jenseits auf den Grund zu gehen, unter Umständen zu meinem eigenen Tod führen könnten. Sollte ich tatsächlich meine irdische Hülle abstreifen müssen und die Schwelle zum Jenseits überschreiten, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dafür Sorge tragen würden, dass meine
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