Das Tal der Angst
lesbar.«
»Warum hat er denn überhaupt geschrieben? Warum hat er die Sache nicht einfach fallenlassen?«
»Weil er befürchten mußte, daß ich in diesem Falle Nachforschungen über ihn anstellen und ihn dadurch möglicherweise in Schwierigkeiten bringen würde.«
»Zweifellos«, sagte ich. »Es ist allerdings« – ich hatte die eigentliche verschlüsselte Nachricht in die Hand genommen und beugte den Kopf darüber – »fast zum Verrücktwerden, wenn man bedenkt, daß dieser Zettel vielleicht ein wichtiges Geheimnis birgt und es außerhalb des Menschenmöglichen ist, es zu ergründen.«
Sherlock Holmes hatte das unangetastete Frühstück weggeschoben und seine unappetitliche Pfeife 3 entzündet, die Gefährtin seiner tiefsten Gedankengänge.
»Das ist die Frage!« sagte er; er lehnte sich zurück und starrte zur Zimmerdecke. »Vielleicht gibt es doch noch einige Punkte, die Ihrem eines Machiavelli würdigen Intellekt entgangen sind. Lassen Sie uns das Problem im Licht der reinen Vernunft betrachten. Der Hinweis dieses Mannes gilt einem Buch. Das ist unser Ausgangspunkt.«
»Der ist aber reichlich vage.«
»Dann wollen wir mal sehen, ob wir ihn nicht schärfer eingrenzen können. Nun, da ich mich darauf konzentriere, erscheint mir die Sache eigentlich weniger unergründlich. Welche Anhaltspunkte haben wir, was dieses Buch angeht?«
»Keine.«
»Na, na, ganz so schlimm steht es doch sicherlich nicht. Die verschlüsselte Nachricht beginnt mit einer dicken 534, nicht wahr? Als erste Arbeitshypothese können wir annehmen, daß 534 die betreffende Seite bezeichnet, die als Schlüssel dient. Somit ist aus unserem Buch schon ein
dickes
Buch geworden, was uns sicherlich ein Stück weiterbringt. Welche weiteren Anhaltspunkte haben wir hinsichtlich der Beschaffenheit dieses dicken Buches? Das nächste Zeichen lautet K2. Was folgern Sie daraus, Watson?«
»Zweifellos das zweite Kapitel.«
»Das wohl kaum, Watson. Ich bin sicher, Sie werden mir zustimmen, daß durch die Angabe der Seitenzahl die Bezeichnung eines Kapitels unerheblich geworden ist. Und daß die Länge des ersten Kapitels, wenn wir uns auf Seite 534 erst im zweiten befanden, geradezu unerträglich gewesen sein müßte.«
»Kolumne!« rief ich.
»Brillant, Watson. Sie sprühen heute früh vor Geist. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn es nicht Kolumne bedeutet. Wie Sie sehen, beginnt vor unserem geistigen Auge nun ein dickes Buch zu erstehen, zweispaltig, wobei die Spalten eine beträchtliche Länge aufweisen müssen, da eines der Wörter in dem Schriftstück als das zweihundertdreiundneunzigste bezeichnet wird. Haben wir damit die Grenzen dessen, was uns vernünftige Überlegung liefert, schon erreicht?«
»Ich fürchte, ja.«
»Sie tun sich bestimmt Unrecht. Lassen Sie es noch einmal sprühen, mein lieber Watson. Noch ein Geistesblitz. Wenn es ein seltenes Buch wäre, dann hätte er es mir geschickt. Er hätte aber – bevor seine Pläne durchkreuzt wurden – die Absicht, mir den Schlüssel in diesem Umschlag zu übersenden. So schreibt er jedenfalls in seinem Brief Dies scheint darauf zu deuten, daß er angenommen hat, ich würde es mir ohne Schwierigkeiten beschaffen können. Er besitzt es und stellt sich vor, daß auch ich es besitze. Kurz gesagt, Watson, es handelt sich um ein sehr verbreitetes Buch.«
»Was Sie da sagen, klingt allerdings einleuchtend.«
»Somit haben wir das Feld unserer Suche auf ein dickes, zweispaltiges und weitverbreitetes Buch eingeengt.«
»Die Bibel!« rief ich triumphierend.
»Gut, Watson, gut! Aber, wenn ich so sagen darf, noch nicht gut genug. Auch wenn ich das als Kompliment für mich selbst gelten ließe, könnte ich Ihnen schwerlich ein Buch nennen, das mit geringerer Wahrscheinlichkeit bei einem von Moriartys Helfershelfern in Griffnähe läge. Überdies gibt es die Heilige Schrift in so zahlreichen Ausgaben, daß er kaum annehmen kann, daß auch nur zwei Exemplare die gleiche Paginierung aufweisen. Hier dagegen handelt es sich zweifellos um ein Standardwerk. Er weiß ganz genau, daß seine Seite 534 mit meiner Seite 534 vollkommen übereinstimmt.«
»Das würde aber nur auf wenige Bücher zutreffen.«
»Genau. Darin liegt unsere Rettung. Unsere Suche beschränkt sich auf Standardwerke, die jedermann zu besitzen pflegt.«
»Das Kursbuch!«
»Da gibt es ein paar Schwierigkeiten, Watson. Der Wortschatz des Kursbuches ist zwar kräftig und knapp, aber beschränkt. Sein Wortvorrat wäre zur
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