Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
1
Es regnete seit Wochen. Vielleicht seit Monaten. Er konnte sich nicht mehr an den Tag erinnern, als es das letzte Mal nicht geregnet hatte, als der Sturmwind die Wolkendecke aufriss und das blasse Blau des Himmels über dem Golf von Mexiko erschien, als die Vögel flogen und die Wolken weiß waren und das Sonnenlicht das feuchte Land zum Schimmern brachte. Es regnete jetzt, der Regen fiel senkrecht, nicht diagonal, er peitschte nicht, die letzten Böen waren während der Nacht abgeebbt, und nun wollte er rausgehen. Er musste dringend aus diesem Haus raus, weg von dem flackernden Licht der Öllampen, weg von dem abgegriffenen Kartenspiel, weg von den Taschenbüchern, weg von dem Radio, das nur selten überhaupt ein Signal empfing, weg von ihrer Stimme, die er im Schlaf hörte, sogar während des Sturms, und die aus allen Ecken des kleinen Backsteinhauses zu ihm flüsterte. Es regnete stark; es war noch sehr früh und dunkel draußen, aber er musste unbedingt raus.
Er stand von seinem Feldbett auf, reckte die Arme über den Kopf und tastete sich im schwachen Licht der Lampe durch das Zimmer. Er schlief im vorderen Raum des Hauses. Im selben Raum, in dem er auch kochte und las und sich umzog und alles andere tat. Nur zur Toilette ging er nach draußen, wo er sich zwischen zwei kreuzförmig übereinander gefallenen Kiefern erleichterte. Er trug lange Unterhosen und ein Sweatshirt und zog Jeans und ein Flanellhemd darüber. Als er fertig angezogen war, ging er in die Küche und nahm eine Flasche Wasser aus der Kühlbox, die nun da stand, wo der Kühlschrank mal gewesen war. Er trank sie in einem Zug leer und legte die Flasche wieder zurück. Er nahm die Taschenlampe vom Küchentresen, ging wieder ins vordere Zimmer und trat zu dem Schrank in der Ecke. Er richtete den Lichtstrahl der Lampe zuerst auf das Kleinkalibergewehr und dann auf die abgesägte Schrotflinte und entschied sich für die Schrotflinte. Auf dem Schrankboden lag eine Patronenschachtel. Er öffnete sie; es waren nur noch zwei drin, die er in die Flinte schob.
Er drehte sich um und schaute den Hund an, der auf einem schmutzigen Handtuch in der Küchenecke lag.
»Keine Sorge«, sagte er. »Ich frag dich gar nicht erst.«
Die Gummistiefel standen neben dem Feldbett. Er schlüpfte hinein, zog die Strickmütze auf, griff sich den schweren Regenmantel, der auf dem Boden lag, und ging zur Vordertür. Er machte sie auf und wurde vom lauten Prasseln des dicht fallenden Regens begrüßt. Die kalte Luft drang herein, und die Beklemmung, die ihn befallen hatte, fiel von ihm ab und driftete in die feuchtkalte Dunkelheit. Er trat hinaus unter das Vordach und ging um das Haus herum. Zahllose Regentropfen trommelten auf seine Kapuze, das Wasser auf dem Erdboden war knöcheltief. Die Regentropfen glitzerten silbrig im gelben Lichtschein seiner Lampe.
Hinter dem Haus war das Wiehern von Habana zu hören. Er öffnete die Tür des Raums, der früher mal ein Wohnzimmer gewesen war, und konnte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, bevor die Stute herausschoss. Sie rannte im Hinterhof im Kreis umher. Cohen richtete die Lampe auf sie und sah zu, wie sie über den aufgeweichten Boden trabte und sich das Regenwasser von Kopf und Hals schüttelte. Sie war aufgeregt und froh, endlich wieder ins Freie zu dürfen. Er ließ sie laufen und trat in den Stall, um den Sattel vom gefliesten Fußboden aufzuheben. Als sie sich ausgetobt hatte, rief er sie mit einem Pfiff zu sich und sattelte sie.
Die abgesägte Schrotflinte unter den Arm geklemmt, führte er das Pferd über den matschigen Weg zur aufgeweichten Straße, auf der sie eine halbe Meile nach Westen ritten. Er trieb das Pferd vorsichtig an und richtete den Strahl seiner Lampe nach vorn auf den Boden, obwohl er den Weg sehr genau kannte. Sie wichen Bäumen aus, die schon vor Jahren umgefallen waren, und anderen, die der Wind vor Monaten oder erst vor Wochen umgeworfen hatte. Die Straße war gesäumt von verlassenen Häusern, deren Stacheldrahtzäune von gestürzten Bäumen oder wucherndem Efeu niedergedrückt wurden. Nach einer guten Stunde erreichten sie den Bretterzaun, der früher einmal eine Schneise begrenzt hatte, durch die Rohre oder Kabel verlegt werden sollten oder eine Konstruktion, um sie darüber zu leiten, aber wie in zahlreichen anderen Fällen war auch daraus nichts geworden.
Der Regen wurde heftiger, als er das Pferd Richtung Süden lenkte. Schmutz spritzte auf, als sie durchs Dickicht und durch
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