Das Tao der Physik
der Raum-Zeit. Ihre Formen sind dynamisch zu verstehen als
Formen in Raum und Zeit. Subatomare Teilchen sind dynamische Strukturen, die einen Raumaspekt und einen Zeitaspekt
haben. Der Raumaspekt läßt sie als Objekte mit einer gewissen
Masse erscheinen, ihr Zeitaspekt als Prozesse mit der entsprechenden Energie.
Diese dynamischen Strukturen oder Energiebündel bilden
die stabilen nuklearen, atomaren und molekularen Strukturen,
die die Materie aufbauen und ihr den Anschein geben, als bestünde sie aus einer festen materiellen Substanz. Auf der makroskopischen Ebene ist dieser Substanzbegriff eine brauchbare Annäherung, auf der atomaren Ebene wird sie hinfällig.
Die Quantentheorie hat gezeigt, daß Teilchen keine isolierten
Materiekörnchen sind, sondern Wahrscheinlichkeitsstrukturen, Verknüpfungen in einem untrennbaren kosmischen Gewebe. Die Relativitätstheorie hat sozusagen diese Strukturen
zum Leben erweckt, indem sie ihren dynamischen Charakter
enthüllte. Sie zeigte, daß die Aktivität der Materie die eigentliche Essenz ihres Seins ist. Die Teilchen der subatomaren Welt
sind nicht nur aktiv im Sinne von schneller Bewegung, sie sind
selbst Prozesse! Die Existenz der Materie und ihre Aktivität
können nicht voneinander getrennt werden. Sie sind nur verschiedene Aspekte der gleichen Raum-Zeit-Realität.
In den vorhergehenden Kapiteln wurde ausgeführt, daß das
Bewußtsein der gegenseitigen Durchdringung von Raum und
Zeit die östlichen Mystiker zu einer innerlich dynamischen
Weltanschauung führt. Das Studium ihrer Schriften zeigt, daß
sie sich die Welt nicht nur in Begriffen der Bewegung, des Fließens und des Wandels vorstellen, sondern daß sie auch ein intuitives Wissen vom Raum-Zeit-Charakter der materiellen
Objekte haben, der für die relativistische Physik so typisch ist.
Physiker müssen beim Studium der subatomaren Welt die Vereinigung von Raum und Zeit in Betracht ziehen, und folglich
sehen sie die Objekte dieser Welt, die Teilchen, nicht statisch,
sondern dynamisch als Energie, Aktivität und Prozesse. Die
östlichen Mystiker sind sich in ihrem außergewöhnlichen Bewußtseinszustand der Durchdringung von Raum und Zeit auf
einer makroskopischen Ebene bewußt, und so sehen sie die
makroskopischen Objekte ähnlich wie die Physiker die subatomaren Teilchen. Dies ist im Buddhismus besonders auffallend. Eine der Hauptlehren des Buddha war, daß »alle zusammengesetzten Dinge unbeständig sind«. 7 Mit den Worten von
D. T. Suzuki:
Buddhisten fassen ein Objekt als Vorgang, nicht als Ding oder Substanz auf . . . Der buddhistische Begriff von »Dingen« als samskara (oder sankhara), das heißt als »Taten« oder »Vorgänge«, macht
deutlich, daß die Buddhisten unsere Erfahrung als Zeit und Bewegung verstehen. 8
Wie die modernen Physiker sehen die Buddhisten alle Objekte
als Vorgänge in einem universalen Fluß und verneinen die Existenz einer materiellen Substanz. Dasselbe gilt auch für die chinesische Gedankenwelt, die eine ähnliche Anschauung der
Dinge als Übergangsstadium im ewig fließenden Tao entwikkelte und sich mehr mit ihrer Wechselbeziehung als mit ihrer
Reduzierung auf eine Grundsubstanz befaßte. Joseph Needham schreibt: »Die europäische Philosophie suchte die Realität
in der Substanz, die chinesische Philosophie in der Relation.« 9
Die Grundelemente des Universums sind in der Weltanschauung sowohl der modernen Physik als auch der östlichen
Mystik dynamische Strukturen; Übergangsstadien im »stetigen
Fluß von Wechsel und Umwandlung« (Chuang-tzu). Nach unserem gegenwärtigen Wissensstand sind die Grundstrukturen
der Materie die subatomaren Teilchen, und das Verstehen ihrer
Eigenschaften und Wechselwirkungen ist das Hauptziel der
modernen Grundlagenphysik. Wir kennen heute über zweihundert Teilchen, die meisten davon werden in Kollisionsprozessen künstlich hergestellt und haben nur eine extrem kurze
Lebensdauer, nämlich weit weniger als
eine
Millionstel
Sekunde! Ganz offensichtlich stellen diese kurzlebigen Teilchen lediglich vergängliche Strukturen dynamischer Prozesse
dar. Daher erheben sich die folgenden Grundfragen bezüglich
dieser Strukturen oder Teilchen: Was sind ihre Unterscheidungsmerkmale? Sind sie zusammengesetzt? Wenn ja, woraus
bestehen sie, oder besser, welche anderen Strukturen umfassen
sie? Welche Wechselwirkung haben sie aufeinander, d. h. welche Kräfte wirken zwischen ihnen? Und schließlich, wenn diese
Teilchen selbst Prozesse sind, was für
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