Das Ultimatum - Thriller
fest vor, Rod anzurufen und mit der guten Nachricht zu überraschen, sobald sie eine freie Minute hatte. Im Augenblick jedoch musste sie ein dringendes Problem bewältigen. Mr. Al-Jahabi.
Mr. Al-Jahabi war Stammgast, ein wohlhabender Saudi, der oft geschäftlich in London weilte und zusammen mit seiner Familie meist den gesamten August über mehrere Penthouse-Suiten belegte, um der mörderischen Wüstenhitze zu entkommen. Deshalb war er ein hochgeschätzter Gast, zumal er üppige Trinkgelder verteilte. Allerdings besaß er auch einen Sexualtrieb, der, soweit Elena das beurteilen konnte, erheblich von der Norm abwich. Wenn seine Frauen nicht mit ihm reisten, nahm er Abend für Abend die Dienste mehrerer Prostituierter in Anspruch. Was an sich noch kein Problem darstellte. Viele alleinreisende männliche Gäste ließen sich – nicht nur im Stanhope, sondern in den meisten Hotels – Callgirls aufs Zimmer kommen, und jeder Versuch, diese Praxis zu unterbinden, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Deshalb regelte man diese Dinge diskret und drückte beide Augen zu. Das Problem mit Mr. Al-Jahabi war jedoch, dass Prostituierte ihm nicht genügten. Wenigstens drei Mal hatte er im vergangenen Jahr versucht, sich weiblichen Angestellten zu nähern. Und einmal hatte ein Zimmermädchen sexuelle Nötigung geltend gemacht und so lange gedroht, zur Polizei zu gehen, bis Mr. Al-Jahabi sie mit einem 1000-Pfund-Tip abgefunden hatte. Je nach Betrachtungsweise konnte man es auch Schweigegeld nennen. Das Zimmermädchen, eine Filipina, hatte das Hotel nur wenig später verlassen. Das Ganze hatte sich vor sechs Monaten zugetragen, und seither hatte Mr. Al-Jahabi sich anständig verhalten – oder zumindest die Kontrolle bewahrt.
Das heißt, bis vor Kurzem.
Laut Colin, dem Duty Manager der Frühschicht, hatte ein Zimmermädchen kurz nach dreizehn Uhr die Suite des Saudi betreten, um sauber zu machen, und war von einem nackt und mit erigiertem Glied paradierenden Mr. Al-Jahabi begrüßt worden, der – wie Colin es formulierte – »ein Happy End« verlangte. Das Zimmermädchen war aus der Suite geflüchtet und hatte sich sofort bei ihrem Boss beschwert, dem Maintenance Manager Mohammed, der wiederum Colin informiert hatte. Laut Colin war es gelungen, das Zimmermädchen zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass sie die Sache nicht weiter verfolgte. Colin hatte ihr versichert, sich darum zu kümmern, und ihr für den Rest des Tages freigegeben.
Nur dass er sich nicht darum gekümmert, sondern, unter dem Vorwand, sich mit einer Familie beschäftigen zu müssen, die sich weigere, ihr Zimmer zu räumen, Elena die Aufgabe hinterlassen hatte, sich mit Mr. Al-Jahabi auseinanderzusetzen. Was typisch für Colin war.
Niemand wollte Mr. Al-Jahabi verärgern, weil alle fürchteten, der extrem einträgliche Kunde könne seine Zelte sonst anderswo aufschlagen und die Angestellten dafür verantwortlich machen. Aber irgendwie musste Elena die Sache zur Sprache bringen. Sie wünschte sich nur, sie litte etwas weniger unter dem Kater, den sie sich nach der gestrigen Feier eingehandelt hatte. Wenn man am nächsten Tag arbeiten musste, sollte man sich nicht erst um fünf Uhr morgens schlafen legen. Auch nicht, wenn die Schicht erst um fünfzehn Uhr begann.
Auf dem Weg nach oben kontrollierte Elena noch das Mezzanin, um sich zu vergewissern, ob der Ballsaal ordentlich geputzt war, wo an diesem Morgen eine dreitägige Konferenz zu Ende gegangen war. Der Ballsaal sah untadelig aus, deshalb nahm sie sich die angrenzende Küche vor.
Wie alle großen Hotels verfügte auch das Stanhope über eine Reihe von Satelliten-Küchen, die an neuralgischen Punkten platziert waren, damit die in der Zentralküche zubereiteten Mahlzeiten noch einmal aufgewärmt werden konnten, ehe man sie den Gästen servierte. Nur so blieb garantiert, dass das Essen stets heiß auf den Tisch kam. Die Küche hinter dem Ballsaal hatte einen begehbaren Vorratsschrank, der bei den Angestellten beliebt war, um dort für ein kurzes Nickerchen abzutauchen. Unter dem Hauptregal befand sich eine Lücke, in die man bequem hineinschlüpfen konnte, ohne von draußen bemerkt zu werden. Das Örtchen war so begehrt, dass vor einigen Monaten zwei aus Bangladesch stammende Reinigungskräfte sich darum geprügelt hatten, was dem einen eine gebrochene Nase einbrachte, nachdem ihm sein Kollege eine Ananas ins Gesicht gedonnert hatte. Seitdem gab es Pläne, den Zwischenraum zuzunageln, doch bislang
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