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Von ängstlichen Drachen, halben Mänteln und zahmen Wölfen - die schönsten Heiligenlegenden neu erzählt

Von ängstlichen Drachen, halben Mänteln und zahmen Wölfen - die schönsten Heiligenlegenden neu erzählt

Titel: Von ängstlichen Drachen, halben Mänteln und zahmen Wölfen - die schönsten Heiligenlegenden neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patmos
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Wie Franziskus und der Wolf die Angst besiegten
    Franziskus war auf dem Weg in die Stadt, nach Gubbio. Wie beinahe jeden Tag war er gut gelaunt und pfiff fröhlich ein Liedchen vor sich hin. Er blieb hier stehen, um an einer Blume zu schnuppern, und dort, um einer Katze über das Fell zu streicheln. Normalerweise hielt er auch immer ein Schwätzchen mit den Menschen, die ihm unterwegs begegneten, aber heute kam ihm niemand entgegen. „Komisch“, dachte er, „wo sind nur alle? Die Straßen sind ja wie ausgestorben!“
    Franziskus lebte mit ein paar Brüdern unweit der Stadt in einem kleinen Kloster. Das hatte er selbst aufgebaut. Die Leute lachten manchmal heimlich über ihn. Sie fanden ihn ein bisschen komisch, weil er immer so fröhlich durch die Straßen ging, obwohl er arm war wie eine Kirchenmaus. Das sah Franziskus ganz anders! „Ich bin so reich beschenkt“, erklärte er, „die Welt ist voller Schönheit, man muss sie nur sehen können! Schaut, Bruder Mond, der uns die Nacht schenkt und den Schlaf, damit wir uns erholen. Und Schwester Sonne, die uns Wärme und Licht gibt, damit wir fröhlich sind. Auf den Feldern wächst alles, was wir zum Leben brauchen, und wenn wir es teilen, reicht es auch für alle, die Hunger haben.“ Und weil Franziskus und seine Brüder sich ganz besonders um die Menschen kümmerten, die krank waren und denen es schlecht ging, hatten ihn alle herzlich gern und teilten ihr Essen und ihre Vorräte mit ihm.
    Als Franziskus nun beinahe am Stadttor von Gubbio angekommen war, sah er die Wachen oben auf der Mauer stehen. Sie waren kreideweiß im Gesicht und winkten ihm hektisch zu. „He, Brüder, was ist heute los mit euch? Die Sonne scheint, es ist herrlich und ihr versteckt euch in der Stadt?“, rief Franziskus von unten. „Franziskus, bist du wahnsinnig? Komm sofort herein, du bist in Lebensgefahr!“, brüllten sie zurück. Schnell schlüpfte Franziskus durch die Tür im Stadttor, die eilig hinter ihm zugeschlagen wurde. Als Franziskus sich umsah, schaute er in viele ängstliche Gesichter. Hinter der Stadtmauer hatte sich eine große Menschenmenge zusammengedrängt.
    „Jetzt mal ganz mit der Ruhe“, sagte Franziskus und legte dem Wachmann, der vor ihm stand, die Hand auf die Schulter. „Was macht euch solche Angst?“ „Hast du es noch nicht gehört, Franziskus?“, fragte der zurück. „Der Wolf, er hat heute wieder zugeschlagen und zwei Reisende kurz vor der Stadt getötet! Das sind für diese Woche schon die fünften Toten! So kann das doch nicht weitergehen. Wir können nicht mehr aus der Stadt gehen! Alle Hirten sind hinter die Stadtmauer geflüchtet, keiner traut sich mehr hinaus auf die Felder!“
    Franziskus nahm den zitternden Mann in den Arm. „Fürchte dich nicht, Bruder! Ich werde mit dem Wolf reden. Er ist auch unser Bruder!“ Der Wachmann war entsetzt und auch die Menschen hinter ihm fingen an, durcheinander zu rufen: „Nein, nicht, Franziskus!“ „Er ist eine Bestie!“ „Er wird dich zerfleischen!“ „Sei vernünftig und bleib bei uns!“ „Geh lieber und bete für uns!“
    Franziskus schaute sie aus traurigen Augen an. „Ihr habt solche Angst in dieser Welt. Und Bruder Wolf hat dieselbe Angst vor euch. Ich werde sie ihm nehmen.“ Und damit schlüpfte er wieder aus der Tür, zu der er eben erst hereingekommen war.
    Draußen schaute Franziskus sich um. Dann nahm er den Weg, der von der Stadt durch den Wald in das nächste Dorf führte. Am Waldrand saß eine struppige Gestalt, die ihn beobachtete. „Da bist du ja, Bruder Wolf“, sagte Franziskus leise. Er ging etwas langsamer und blieb dann einen Wolfssatz weit vor dem Tier stehen. Der Wolf hatte sich zum Sprung bereit gemacht. Er knurrte und starrte Franziskus aus gelben Augen an.
    „Bruder Wolf, wovor hast du solche Angst?“, flüsterte Franziskus. „Ich tue dir nichts. Ich möchte nur mit dir reden.“ Der Wolf hörte auf zu knurren und schaute Franziskus fragend an. „Schau, ich bin hergekommen, um dich zu bitten, mit dem Morden aufzuhören“, fuhr Franziskus fort. Der Wolf spitze die Ohren und legte den Kopf schief. „Weißt du, die Menschen haben vor dir noch viel mehrAngst als du vor ihnen. Du musst sie nicht töten, damit sie dir nichts tun. Und eines verspreche ich dir“, sagte Franziskus und kniete sich hin. Jetzt konnte er dem Wolf direkt in die großen gelben Augen schauen. „Ich passe auf dich auf, dass dir nichts geschieht.“ Dann war es eine Weile still zwischen den beiden.

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