Das unsichtbare Buch
Ahnung, aber den Rest des Tages suche ich angestrengt nach einer anderen Lösung. Doch nachder Schule klebt sie an mir wie ein Schatten. Und spätestens jetzt wird mir klar, dass ich keine Chance habe: Wir gehen zu mir nach Hause.
Unterwegs treffen wir Javier.
»Ich hab Lucía zu uns nach Hause eingeladen«, sage ich zu ihm.
Er grinst mich an und sagt: »Lasst euch bloß nicht erwischen!«
»Was meinst du damit?«, frage ich harmlos.
»Das weißt du ganz genau!«
Mama öffnet uns die Tür.
»Das ist Lucía, ich hab sie zu uns eingeladen«, erkläre ich. »Ist das okay?«
»Natürlich ist das okay! Ich finde es gut, dass du Freunde nach Hause mitbringst«, sagt sie und gibt Lucía einen Kuss auf die Wange.
»Vielen Dank, Señora. César und ich sitzen in der Klasse nebeneinander, wir sind gute Freunde.«
»Ach ja? Er hat mir noch gar nichts von dir erzählt … Er ist sehr schüchtern bei Mädchen, weißt du?«
»Ja, ich weiß. Es ist nicht leicht, ihn zum Reden zu bringen.«
Sie sprechen über mich, als wäre ich gar nicht da. Als würden sie über jemand anderen reden.
»Ich werde euch einen Happen zu essen machen, nach dem ihr euch die Finger lecken werdet«, sagt Mama.
»Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen. Ich bin eine gute Köchin… Habe ich Ihnen erzählt, dass ich Ihren Mann schon kennengelernt habe?«
»Was du nicht sagst! Wie habt ihr euch denn kennengelernt?«
»Wir haben ihn am Samstag im Burger Flash getroffen«, antwortet Lucía. »Er hat uns von seiner Arbeit erzählt.«
»Du meinst, dass er gerade ein neues Buch schreibt?«
»Ja, genau … Wissen Sie, ich will auch Schriftstellerin werden!«
Ich bin Luft für sie. Sie lassen mich einfach stehen und verschwinden in der Küche.
Ich gehe in mein Zimmer, werfe meine Tasche auf den Tisch und räume ein bisschen auf. Nur für den Fall, dass Lucía mein Zimmer sehen will …
Dann schleiche ich mich zu Papas Arbeitszimmer und luge vorsichtig hinein.
Es ist niemand da, der Computer ist ausgeschaltet.
Leise schließe ich die Tür und gehe in die Küche.
»César, mein Junge«, sagt Mama, »warum hast du Lucía nicht schon früher mitgebracht? Sie ist sehr nett und scheint dich gut zu verstehen.«
Nicht zu fassen! Lucía versteht mich!?
»Ja, Mama«, antworte ich brav.
Sollen sie doch reden, was sie wollen, ich denke gar nicht daran, mich mit ihnen zu streiten.
»Los, kommt, setzt euch und esst was. Ich muss noch etwas besorgen.«
Wir setzen uns an den Küchentisch. Mama hat uns Sandwiches gemacht und Orangensaft hingestellt – das mag ich wenigstens.
Mama verabschiedet sich mit dem Versprechen, bald wieder zurück zu sein. Anscheinend hat sie nicht viel zu besorgen.
Lucía wirft mir einen ihrer unschuldigen Blicke zu, einen von denen, mit denen sie auch Mama eingewickelt hat.
Wie zwei brave Kinder sitzen wir in der Küche, essen Sandwiches und trinken Orangensaft. Und weil man mit vollemMund nicht spricht, schweigen wir uns an …
»Ich bin fertig!«, ruft Lucía schließlich und wischt sich den Mund mit ihrer Serviette ab. Dann fügt sie verschwörerisch hinzu: »Es ist so weit!«
Ich trinke noch einen großen Schluck Orangensaft und wische mir dann auch den Mund ab.
»Komm mit«, sage ich und stehe auf.
Obwohl es in Papas Arbeitszimmer dunkel ist, mache ich lieber kein Licht an. Das Licht, das durch den Türspalt dringt, reicht aus, um den Computer anzumachen.
Nacheinander öffne ich verschiedene Programme, Fenster, Archive und Ordner, all das, was Computer eben so haben.
»Du kennst dich ja richtig gut damit aus«, sagt Lucía bewundernd.
Darüber habe ich eigentlich noch nie nachgedacht, aber jetzt, wo sie es sagt … Ich denke, es ist besser, sie in dem Glauben zu lassen.
»Na ja, es fällt mir eben leicht«, antworte ich betont lässig.
»Da!«, ruft sie plötzlich, als sie den Titel Das unsichtbare Buch entdeckt.
»Sofort«, sage ich und bewege die Maus.
Auf dem Bildschirm erscheint das, was wir gesucht haben: Das unsichtbare Buch, von César Durango .
Mit weit aufgerissenen Augen starrt Lucía auf den Bildschirm.
»Da! Unser Buch!«
»Was ist? Hast du noch nie einen Text auf einem Bildschirm gesehen?«
»Nein, noch nie! Cool!«
Sie überrascht mich immer wieder. Ich lese schon seit ewigen Zeiten Texte auf dem Bildschirm, für mich ist das nichts Besonderes. Und jetzt kommt Lucía und … Wow! Cool! Ich glaube, sie übertreibt mal wieder ein bisschen.
»Warte, nicht so schnell«, sagt sie und hält
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